Pflege / Pflegesofortprogramm

Anwerbung ausländischer Pflegekräfte ist eine Scheinlösung

Nachdem die Politiker das Thema Pflege jahrzehntelang nicht auf dem Schirm hatten, erlebt es derzeit geradezu einen Boom. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn „Hat verstanden“ und will mit einem Pflegesofortstellenprogramm 13.000 neue Pflegekräfte einstellen. Gebraucht werden 50.000 sagt der Deutsche Pflegerat.

Aber Jens Spahn hat Recht: Wir müssen erst einmal anfangen! Dazu will er auch ausländische Pflegekräfte nach Deutschland holen. Mal ganz abgesehen davon, dass wir uns überlegen müssen, ob es ethisch geboten ist, den Bürgern in Drittstaaten oder auch weniger entwickelten EU-Mitgliedsländern, das Pflegepersonal wegzulocken, bauen sich doch eine Reihe von Hürden auf, die so ein Unterfangen wenig aussichtsreich erscheinen lassen.

Zur Veranschaulichung mein persönlicher Erfahrungsbericht. Wir sind vor gut einundeinhalb Jahren mit einer kleinen Expertengruppe in den vom Bürgerkrieg geschüttelten Kosovo gefahren. Auch noch knapp 20 Jahre nach dem Krieg sind die Folgen deutlich zu sehen gewesen – und das in einer Region, die bereits im ehemaligen Jugoslawien eine der niedrigsten Produktivitätsraten aufwies. Im Nachgang des Kosovokrieges wurden zwei Milliarden Euro Hilfsgelder für ein Aufbauprogramm zur Verfügung gestellt. Die Arbeitslosigkeit ist aber nach wie vor hoch und jährlich drängen mehr als 30.000 junge Leute auf den Arbeitsmarkt der mit einer Bevölkerungsanzahl von knapp 1,9 Millionen großen Republik.

 

Wir wollten uns einen Überblick verschaffen, wie Personal akquiriert werden könnte und besuchten unter anderem die Universitätsklinik in Pristina, eine Rehaeinrichtung und ein Krankenhaus. In Pristina gibt es zudem eine Pflegeschule, die nach deutschen Standards lehrt und gar nicht einmal so schlecht aufgestellt war.

Unsere Grundidee: Im Heimatland qualifizieren – fachlich wie sprachlich – und dann
(vor-)ausgebildete Kräfte nach Deutschland vermitteln.

Bei den niedrigen Monatslöhnen war das Interesse der Pflegekräfte entsprechend hoch. Allerdings wurde uns auch schnell klar, wie hoch der verwaltungstechnische Aufwand für jede einzelne anzuwerbende Kraft ist. Eine Aufenthaltsgenehmigung, eine Arbeitsgenehmigung sind die Grundvoraussetzungen. Dann ist noch nicht klar, ob die jeweilige Ausbildung anerkannt wird. Sprachschulungen und die inhaltliche Vorbereitung auf das deutsche Gesundheitssystem runden das Migrationsprogramm ab.

Der bürokratische Aufwand ist also nicht nur exorbitant hoch, sondern auch teuer. Das Ganze muss ja vorfinanziert werden. Es „lohnt“ sich nur, wenn ein standardisiertes Verfahren aufgesetzt wird und eine entsprechend große Menge an Kräfte auf den Markt vorbereitet werden kann.
Inzwischen ist eine Anwerbeindustrie entstanden, die versucht das umzusetzen. Große Arbeitgeber wie der private Klinikkonzern Asklepios, der gerade 250 Pflegekräfte aus den Philippinen angeheuert hat, oder auch die Charité, die in Vietnam Personal abwirbt, sind sicher im Vorteil. Aber was machen alle kleineren bis mittelgroßen Häuser? Die Qualifikation und Arbeitseinstellung der angeworbenen Kandidaten ist vielfach jedoch sehr diskussionswürdig, aber wir brauchen jede Hand.

Was also ist zu tun?? Vielleicht könnte es ein Ansatz sein, analog zu den Wirtschaftsförderungen ein System an Pflegestellenförderungen aufzubauen. Gesellschaften, die sich um die gezielte Anwerbung von Pflegekräften im Ausland kümmern – inklusive des Abbaus bürokratischer Hürden. Klar ist aber auch, die Anwerbung ausländischer Kräfte ist nur ein kleiner Teil der Problemlösung in unserem Gesundheitssystem. Wir müssen endlich vorankommen und Perspektiven für die nichtärztlichen Berufe entwickeln. Neue Aufgabenfelder erschließen, heißt Berufsbilder attraktiver zu machen. Muss den jeder Arzt ein Handwerker sein? Welche Aufgaben können Pflegeexperten oder andere
medizinische Assistenzberufe übernehmen? Im Kampf um Fachkräfte stehen inzwischen alle Branchen im Wettbewerb und das wird eine große gesellschaftliche Herausforderung. „Fokussierung“ heißt das Zauberwort.

Ihr,

H-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.