Digitalisierung / ePA

Außer Kontrolle! Wie chaotisch die elektronische Patientenakte eingeführt wird.

Haben Sie schon einmal versucht, einen Termin beim Arzt online zu buchen? Hm, gar nicht so einfach. Je nachdem welchen Arzt – HNO, Internist oder Hautarzt – Sie aufsuchen wollen, ist dieser auf dem einen oder anderen Arzt-Portal gelistet, oder auch nicht. Am Ende hantieren Sie mit vier, fünf unterschiedlichen Apps auf Ihrem Smartphone, alle mit unterschiedlicher Navigation.

Noch komplizierter wird’s bei der elektronischen Patientenakte, kurz ePA genannt. In dieser Akte sollen alle Befunde, Diagnosen, Laborwerte und Aufnahmen bildgebender Diagnostik gespeichert werden können. Der ePA-Download aus dem App-Store klappt noch. Schnell ein Profil anlegen, aber dann, wenige Klicks weiter, die ernüchternde Information „Ihre Krankenkasse ist nicht bei uns gelistet – tragen Sie sich in die Warteliste ein. Wir informieren gerne, wenn wir Ihnen helfen können“.

Nachdem die Selbstverwaltung, also Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen, die Einführung der ePA in fünfzehn Jahren (!!) nicht hinbekommen, dabei mehr als eine Milliarde Euro Versichertenbeiträge verschwendet hat, soll für die mehr als 80 Millionen Versicherten die ePA nun bis 2021 verpflichtend eingeführt werden. Das hört sich verdächtig nach dem Berliner Flughafen und immer wieder neuen Eröffnungsterminen an.

Derzeit gibt es zwar mittlerweile eine ganze Reihe ePA auf dem Markt. Doch das ist genau das Problem. Jede große Krankenkasse bietet mittlerweile ihren Patienten eine elektronische Patientenakte an, unter anderem die Techniker Krankenkassen, die AOK oder auch die privaten Krankenversicherungen. Ein Flickenteppich an Kassen, Ärzten und Krankenhäusern, die mit unterschiedlichen ePA arbeiten. Ganz zu schweigen von einer Anbindung beispielsweise an die Physiotherapeuten oder Apotheken.

Wer dann wie an seine Daten kommt, wird spannend. Zumal rund 13 Millionen Versicherte derzeit überhaupt nicht online sind. Und wie sieht es mit den rund 16,3 Millionen Familienversicherten aus?

Bekommt der Familienvater auch die Patientenakte seiner Frau und seiner Kinder zu Gesicht und was werden die 16 Datenschutzbeauftragten der Länder – und ja, das gibt es auch noch, was wird das kirchliche Datenschutzrecht – dazu sagen?

Während sich – gefühlt – nahezu jeder unserer Lebensbereiche digitalisiert, schleppen Frauen nach der Mammographie ihre radiologischen Aufnahmen immer noch im großen braunen Umschlag durch die Stadt, oder Ärzte faxen sich Befunde gegenseitig zu. Auch schon gängige Praxis: Man postet sich MRT-Aufnahmen via Whats app zu – nicht gerade die sauberste Lösung in Sachen Datenschutz.

Fakt ist: Eine zersplitterte ePA-Landschaft verstärkt die Probleme und erhöht die Insuffizienz unseres Systems. Jeder IT-Könner wird sagen: Ein schlechter Prozess wird digital nicht besser! Sogenannte Insellösungen sind nicht die Lösung. Was wir brauchen, ist eine einheitliche Plattform, in der alle Patientendaten sicher und in einer einheitlichen ePA-Struktur geführt und abgelegt werden. 

Und so könnte die Systemarchitektur im Einzelnen aussehen:

  • Alle von den gesetzlichen Kostenträgern finanzierten Leistungen werden verpflichtend in die ePA eingespielt. Damit ist sichergestellt, dass auch alle Behandlungsergebnisse in der ePA vorliegen – die oft beklagten Doppeluntersuchungen können so vermieden werden, wertvolle Informationen aus vorangegangenen Untersuchungen stehen dem jeweilig behandelnden Arzt für eine umfassende Diagnose zur Verfügung.
  • Daten beispielsweise von Apps dürfen nur von zertifizierten Anbietern mit Zustimmung des Patienten über zertifizierte Schnittstellen in die ePA eingespielt werden.
  • Für Patienten mit chronischen oder seltenen Erkrankungen sind besonders Studienergebnisse von hohem Interesse. Damit diese zeitnah und umfänglich zu Verfügung stehen, sollten diese in einem standardisierten Studiendesign durchgeführt und in die ePA eingepflegt werden. Damit würde der Wildwuchs und die Qualität medizinischer Studien kontrolliert und die Ergebnisse transparent gemacht. Dies würde zudem helfen, die Ergebnisse kleiner Studienpopulationen besser zu bewerten.

Überhaupt ist das Thema Datensicherheit zentral. Wir müssen es schaffen, Vertrauen in die digitalisierten Strukturen und Prozesse in unserem Gesundheitswesen zu etablieren. Das geht nicht, wenn die Patientendaten weit verzweigt und an den unterschiedlichsten Stellen gesammelt und in teilweiser fraglicher Qualität erhoben und gespeichert werden. Da helfen auch keine Lamentos von Verbänden und Vereinen über den in Deutschland so zögerlichen und kritischen Umgang mit technologischen Neuerungen. Nur ein einheitliches System schafft die Grundlage für die notwendige gesamtgesellschaftliche Akzeptanz und bildet die Grundlage für Innovationen.

Das Problem ist nicht, dass alle der über 100 Krankenkassen und mehr als 20.000 Anbietern von Gesundheitsapps Daten sammeln und verwalten. Um einen wirklichen Nutzen für alle Beteiligten und Partner enstehen zu lassen, müsste ein Sammelbecken nachgelagert werden, in das die Datenströme Münden können. Hier steht der Staat mit seiner hoheitlichen Aufgabe gegenüber dem Bürger und Patienten in der Verantwortung.

Was ist Ihre Meinung? Haben Sie bereits Erfahrungen mit der elektronischen Patientenakte? Und wenn ja, welche? Schreiben Sie mir? Lassen Sie uns in einen Austausch treten über eine der wichtigsten Neuerungen in unserem Gesundheitswesen. Wie immer, ich freue mich auf Ihre Posts.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.