Beatmung / Patientenorientierung / Spahn

Da bleibt einem die Luft weg!

Bisher ist Gesundheitsminister Jens Spahn in seiner Amtszeit mit Spargesetzen noch nicht bemerkenswert in Erscheinung getreten. Kurz ein paar kleine Beispiele: Die Ärzte durften sich bei dem in diesem Jahr verabschiedeten Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) über geschätzt 800 Millionen Euro Mehreinnahmen freuen und auch die Finanzierung von 13.000 zusätzlichen Pflegestellen durch die Krankenkassen, wird einen Batzen kosten und letztlich durch das allgemeine Beitragsaufkommen der gesetzlichen Krankenversicherten finanziert werden. Für den Health Innovation Hub, einem Think-Tank, – zur Förderung der Digitalisierung im Gesundheitswesen – spendierte der Minister kurzerhand mal 5,4 Millionen Euro aus seinem Haushalt.

Jetzt aber, geht’s mal ums Sparen. Der Minister will die außerklinische Intensivpflege eindämmen. Konkret sind dies sogenannte Beatmungspatienten, die zu Hause rund um die Uhr gepflegt werden. Ungefähr 20.000 Euro kostet die Kassen die häusliche Pflege eines Beatmungspatienten im Monat. Spahn hat jetzt in einem Referentenentwurf zum Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz vorgeschlagen, diese Patienten in vollstationären Pflegeeinrichtungen oder spezialisierten Intensivpflege-Wohneinheiten betreuen zu lassen. Das ist billiger, weil mehrere Patienten mit diesem Erkrankungsbild von einem Team gepflegt werden können. Der Protest von Selbsthilfegruppen, Vereinen und Aktivisten war vorprogrammiert. Sie alle fürchten um das Selbstbestimmungsrecht von neuromuskulär oder anderen degenerativen Erkrankten.

Spahn scheut – wieder einmal – keine Konfrontation.

Tatsächlich hat die Prävalenz dieses Krankheitsbildes in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

Die Zahl der Beatmungspatienten „habe sich in den vergangenen Jahren drastisch erhöht: Seien es 2005 rund 1.000 Patienten gewesen, würden Schätzungen heute von etwa 30.000 ausgehen“, schreibt die Ärztezeitung in einem Artikel vom 15. August 2019. Und Krankenkassen wie auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) gehen von einer strukturellen Fehlversorgung in der Versorgung von Beatmungspatienten aus. Es werde insgesamt zu wenig getan, um Patienten, die einmal beatmet wurden, wieder zu entwöhnen, so viele Kritiker der häuslichen Beatmungspflege. Und auch kriminelle Pflegedienste hätten ein leichtes Spiel schnell an große Summen zu kommen.

Doch, warum das Kinde mit dem Bade ausschütten? Spahn will zum Beispiel sogenannte Konversionstherapien – Therapien in denen Homosexuelle „umgepolt“ werden sollen – gesetzlich verbieten lassen und hat dafür gleich zwei Gutachten in Auftrag gegeben. Das ist gut und richtig so.

Aber warum wird diese Gründlichkeit nicht auch beim Reha- und Intensivpflegestärkungsgesetz an den Tag gelegt?

Eine versorgungspolitische Studie könnte die hohen Prävalenzzahlen klären und ein medizinisches Gutachten beschäftigt sich mit der Entwöhnung von künstlicher Beatmung. Leitlinien legen den wissenschaftlich-medizinischen Standard fest – der Medizinische Dienst der Kassen (MDK) kontrolliert deren Einhaltung.

Denn, dass etwas getan werden muss, steht außer Frage. Doch: Seit Jahrzehnten moniert der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) Unter-, Über- und Fehlversorgung in unserem Gesundheitssystem an unterschiedlichsten Stellen und bei unterschiedlichsten Krankheitsbildern. Das alles kostet den Beitragszahler Milliarden. Viele dieser gesundheitspolitischen Baustellen fristen seit langer Zeit unbeachtet ihre Existenz. Da muss schon die Frage erlaubt sein, warum gerade bei den Beatmungspatienten die Baustelle Fehlversorgung jetzt so zügig und rigeros abgeräumt wird?

Es handelt sich zum Teil um behinderte Menschen, die künftig per „Zwangseinweisung“ ihr häusliches Umfeld, Familie und Autonomie verlassen sollen. Ein bisschen mehr Empathie und Sorgfalt bei solch weitreichenden gesundheitspolitischen Entscheidungen wäre angebracht!

Wie finden Sie den neuesten Gesetzentwurf aus dem Hause Spahn? Sollen Patienten, die zu Hause gepflegt und beatmet werden, einfach so ins Heim abgeschoben werden? Oder sind Sie der Meinung, dass diese intensivmedizinische Pflege am Besten in stationären Einrichtungen erbracht werden sollte? Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.