Jens Spahn / Pflegepersonal-Stärkungsgesetz / Pflegeversorgung

Das neue Pflegeversorgungs – Schwächungsgesetz

Für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist es eines seiner wichtigsten Gesetzesvorhaben: das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG). Das Timing – kurz nach seiner Amtseinführung – ist keineswegs zufällig gewählt. Spahn wollte noch in diesem Jahr ein Signal setzen, wie wichtig ihm das Thema Pflege ist. Deswegen hat er sich zügig daran gemacht, der größten Berufsgruppe mit 1,2 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen entgegen zu kommen. So weit, so gut. Spahn und seine Ministerialen haben ein ansehnliches Paket an Maßnahmen geschnürt, dass die vielfach angespannte Situation der Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen künftig entschärfen soll. Beispielsweise soll ab 2020 eine Mindestpersonalaus-stattung für Pflegekräfte in den Krankenhäusern gelten und Krankenhäuser, die diese Mindestpersonalausstattung nicht erfüllen, müssen mit Abschlägen rechnen. Das produziert bei nicht wenigen Fachleuten im Krankenhaussektor große Fragezeichen auf der Stirn. Das Ministerium ist derweil inzwischen tätig geworden und hat per Ersatzvornahme für die Intensivmedizin und die Unfallchirurgie Personalunter-grenzen festgelegt.

Personaluntergrenzen mobilisieren aber noch kein Personal auf dem Arbeitsmarkt. Bislang rufen die Krankenhäuser die Mittel aus dem Pflegestellen-Förderprogramm gerade einmal zur Hälfte ab.

Nur jedes dritte Haus hat die Gelder beantragt. Und warum ist das so? Weil die Kliniken erhebliche Schwierigkeiten haben, Fachkräfte in der Pflege zu gewinnen und dies wird in Zukunft noch schwieriger. Kernpunkt des Gesetzes ist jedoch die Ausgliederung der Pflegepersonalkosten aus den DRG. Für den Laien: Diagnosis Relates Groups – kurz DRG oder auch Fallpauschalen genannt, wurden 2005 eingeführt. Krankenhäuser sollten nur noch für die medizinische und pflegerische Leistung bezahlt werden: beispielsweise für die Behandlung einer einfachen Blindarm-Entfernung, oder eine Darmkrebs-OP mit Komplikationen. Geld gibt’s seitdem also nur für den einzelnen Fall plus eventueller Nebendiagnosen. „Das Geld folgt der Leistung!“ – so lautete seinerzeit die Devise, die ein komplett neuartiges System der Krankenhausfinanzierung zur Folge hatte. Davor galt jahrzehntelang das Selbstkostendeckungsprinzip – die Einrichtungen wurden für die Anzahl der Tage bezahlt, die ein Patient im Krankenhaus verbrachte. In der Konsequenz der Reform mussten alle Personalreserven in den Krankenhäusern abgebaut werden. Das jedoch heißt: Jede kleine bis mittlere Grippewelle führt heute zu einem Mangel an Betten und einer Überlastung der Mitarbeiter. Die Krankenhausvergütung durch die DRG ist jedoch kein Preissystem, sondern eine kalkulatorische Kostenerstattung – die mal mehr und mal weniger sauber berechnet ist –, die tatsächlichen Kosten werden nicht erstattet. Viele Krankenhäuser sahen sich daher in der Vergangenheit gezwungen, den Kostendruck durch Unterbesetzung des Personals zu begegnen. Inzwischen hat sich die Situation gewandelt. Alle Kliniken in Deutschland suchen händeringend Personal. Die Kliniken ohne Personalnotstand kann man an einer Hand abzählen. Mittlerweile werden schon Prämien für gelungene Anwerbung gezahlt. Durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz sollen ab 2020 die pflegerischen Leistungen aus den DRGs herausgerechnet werden und auf eine neue, von den Fallpauschalen (DRGs) unabhängige, krankenhausindividuelle Vergütung der Pflegepersonalkosten umgestellt werden. Das bedeutet nichts anderes als den Rückbau des derzeitigen Kranken-hausfinanzierungssystems! Mir erschließt sich jedoch nicht die Logik. Warum werden nur die Pflegepersonalkosten aus den Fallpauschalen herausgerechnet? Und nicht auch die Kosten für Ärzte? Und was geschieht mit dem Leasing-personal, ohne das heute kaum ein Krankenhaus noch zurecht kommt? Werden die Kosten für pflegerisches Leasingpersonal in die neuen Pflegepersonalkosten-berechnungen integriert? Es ist heute bereits absehbar, dass die kleinteilige Anpassung des Vergütungssystems zu erheblichen Verwerfungen führen wird. Die Personalprob-leme bei der Gewinnung von ärztlichen wie pflegerischen Angestellten bleiben unverändert erhalten. So meldete beispielsweise die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft vor kurzem: 64 Prozent der Krankenhäuser im „Ländle“ haben erhebliche Probleme ärztliches Personal zu finden. Deutschlandweit fehlen geschätzt 35.000 Menschen für den Bereich der Alten- und Krankenpflege.

Was wird also die Verordnung von Personaluntergrenzen erreichen?

  • Der Personalnotstand in der Pflege wird durch die Untergrenzen nicht behoben, weil es schlicht nicht genügend Fachkräfte auf dem Markt gibt.
  • Wenn Kliniken die Mindestbesetzung nicht erreichen, werden die Vergütungspauschalen durch die Krankenkassen gekürzt oder ganz gestrichen. Damit sinken die Einnahmen der Kliniken und die Defizite steigen – weitere Klinikschließungen sind vorprogrammiert.
  • In der Konsequenz werden Krankenhäuser Stationen schließen müssen. Patienten können nicht mehr aufgenommen werden, der Rettungsdienst wird die Patienten in den Kliniken nicht mehr „so einfach los“. Die Wegstrecken und die Suche nach einem Bett werden steigen. Gleichzeitig sinkt die Verfügbarkeit der Fahrzeuge für den nächsten Notfall.

Das vermeintlich wohl klingende Gesetz ist ein Wolf im Schafspelz. Es ist eher ein Pflegeversorgungs-Schwächungsgesetz und führt zu einer weiteren Verschlechterung der medizinischen Versorgung der Bevölkerung! Es löst keines der Probleme, sondert es führt dazu, dass kranke Menschen wohnortnah nicht mehr adäquat behandelt werden können.

Wenn der Bundesgesundheitsminister das DRG-System also in Einzelteile zerlegt und verschlimmbessert, warum es nicht gleich ganz abschaffen? Die politisch intendierten Erwartungen einer substanziellen Marktbereinigung hat das DRG-System ohnehin nicht erfüllt. Die Anreize des Systems haben noch nie zu den ethischen Grundsätzen unseres Grundgesetzes und einer guten und patientenorientierten Medizin gepasst. Das DRG System gehört mit seiner Struktur und den Anreizen auch nicht mehr in die heutige Zeit: Personalnotstand und Versorgungslücken lassen sich mit diesem System nicht lösen. Die damit verbundenen aufgeblähten bürokratischen Strukturen fressen einen erheblichen Teil der vermeintlichen Effizienzvorteile. All das sind keine guten Nachrichten für Patienten und die in der Krankenversorgung und Pflege beschäftigten Menschen. Ihr, H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.