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Geriatrische Patienten als Spielball der Krankenkassen

Die meisten alten Menschen in Deutschland bevorzugen es, in ihren eigenen vier Wänden zu leben und ja, auch einmal dort zu sterben. Deswegen ist es auch so wichtig nach einem Krankenhausaufenthalt so schnell wie möglich wieder auf die Beine zu kommen – selbstständig zu sein, Hauptsache wieder Zuhause! Und das sieht für jeden ganz anders aus: sich ein kleines Mittagessen bereiten, Kreuzworträtsel lösen, im Garten noch ein bisschen arbeiten, mit den Enkeln spielen. Was auch immer. Krankenhäuser bereite n ihre betagten Patienten nach einem Stationsaufenthalt auf die Rückkehr in die häusliche Umgebung vor: Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung nennt sich das im Controllerjargon.

Doch genau dieses wichtige Versorgungsangebot wird den Krankenhäusern jetzt in geradezu kafkaesker Art und Weise erschwert. Der Grund ist ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.12.2017: Krankenhäuser müssen nachweisen, dass an den geriatrischen Teambesprechungen alle Berufsgruppen, also Ärzte, Pflegende, Therapeuten und Sozialarbeiter teilnehmen beziehungsweise teilgenommen haben.

Ja, Sie lesen richtig! Krankenhäuser müssen das rückwirkend bis ins Jahr 2014 nachweisen. Wenn sie das nicht tun oder können, fordern die Krankenkassen das Geld für die geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung zurück. Wir reden von mehr als 6.000 Euro pro Patient. Die Kassen frohlocken derweil, Millionen Euro von Krankenhäusern auf diesem Wege zurückfordern zu können. Um eines klar zu stellen: Die Zusammenarbeit verschiedener Berufsgruppen in der Patientenversorgung – insbesondere in der Geriatrie oder Onkologie – ist Bestandteil moderner Patientenversorgung und macht selbstverständlich Sinn. Die Auslegung des Bundessozialgerichts aber ist einfach nur weltfremd und bürokratisch. In der Praxis verfügen viele Kliniken durch den Fachkräftemangel nicht immer und zu jeder Zeit über eine ausreichende Zahl der geforderten Fachkräfte. Manche Funktionen sind nur durch ein oder zwei Mitarbeiter vertreten – in manchen Regionen lassen sich überhaupt keine entsprechenden Mitarbeiter finden. Verschärft wird die Personalsituation in den einzelnen Häusern durch Urlaub und Krankheitsfälle. Alle Berufsgruppen wöchentlich an einen Tisch zu bekommen, stellt sich vor diesem Hintergrund für einen Teil der Häuser als ein Ding der Unmöglichkeit dar.

Statt zu fragen: Sind diese Vorgaben denn überhaupt medizinisch gerechtfertigt? Auf welcher Grundlage werden sie erhoben? – ist vielmehr die ganze Behandlung nichts mehr wert, weil an einer wöchentlichen Teamsitzung nur drei statt vier Fachdisziplinen teilgenommen haben.

Wäre es da nicht sinnvoller das Ergebnis zu honorieren? Stattdessen werden alle an der Behandlung des Patienten Beteiligten mit Honorarkürzungen bestraft, obwohl sie mit großem Herzblut und Engagement für den Patienten arbeiten. Insgesamt vollzieht sich eine Entwicklung im Gesundheitswesen, die die Bereitstellung medizinischer Versorgung – gerade auch in ländlichen Gebieten – zum Teil unmöglich macht. Unter dem Deckmantel des Qualitätsanspruchs wird ohne eine politische Diskussion die Versorgung der Menschen in Deutschland massiv verschlechtert. Das ist skandalös! Die Qualitätsvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) an die medizinischen Leistungsangebote gehen mitunter an der Praxis vorbei. Der G-BA ist ein Gremium bestehend aus Ärzten, Krankenhäuser und Krankenkassen, dass darüber entscheidet was, wann und wie in die Versorgung kommt und dann auch von den Kassen erstattet wird. Auch wenn die Kassen es anders behaupten, es geht ihnen nicht um die Behandlung und das Ergebnis, es geht ihnen darum, gezahlte Gelder zurückzufordern zu können.

Das Beispiel der akutgeriatrischen Komplexbehandlung von betagten Patienten zeigt einmal mehr, dass es nicht um den Patienten beziehungsweise das Ergebnis seiner Behandlung geht. Die Qualitätsvorgaben sind Mittel zum Zweck, um die Krankenhauslandschaft in Deutschland zu dezimieren.

Meine Meinung ist: Wer mit den alten und kranken Menschen so umgeht, dem geht es nicht um das Wohl der Patienten, sondern um das eigene Betriebsergebnis. Diese Denke muss ein Ende haben. Wir können die Menschen in Ihrer Not nicht alleine lassen und diejenigen, die sich diesen Menschen professionell annehmen, auf diese Art und Weise gängeln. Die Politik kann die Selbstverwaltung so nicht wurschteln lassen. Wir alle haben ein Grundrecht auf Gesundheit und dazu gehört eine angemessene Versorgung. So wie es jetzt läuft, wird diese zerstört. Ich bin gespannt auf Ihre Meinung! Ihr, H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.