GKV / Krankenkassen

Das Märchen vom Kassenwettbewerb

Kassenvorstände der gesetzlichen Krankenversicherung sprechen immer gerne von der solidarischen Krankenversicherung. Das klingt irgendwie gut und auch beruhigend. In der Tat ist der Zugang in unser Gesundheitssystem so einfach wie nirgends auf der Welt. Und wer hinterfragt dafür schon die Höhe und Verteilung der Sozialabgaben auf der monatlichen Gehaltsabrechnung. Krankenversiche-rungsbeiträge müssen entrichtet werden –punkt.

Haben Sie noch im Hinterkopf, dass Sie neben Ihrem Krankenversicherungsbeitrag noch einen sogenannten Zusatzbeitrag Ihrer Krankenkasse zahlen?? Wenn nicht, dann sind Sie sicherlich damit nicht alleine. Zumal diese Extra-Zahlung an die Kassen auf Ihrem Lohnzettel nicht eigens ausgewiesen wird.

Seit 2009 erhalten die Krankenkassen ihre Gelder aus dem sogenannten Gesundheitsfonds – einem Topf, in dem alle Beiträge, die der Arbeitgeber und die der Arbeitnehmer sowie Steuermittel einfließen. Reichen diese Gelder den Kassen nicht zur Deckung ihrer Ausgaben, können diese sich noch einen Abschlag direkt bei ihren Mitgliedern holen – genannt Zusatzbeitrag. Dieser Zusatzbeitrag musste bislang allein von den Versicherten getragen werden. Das soll sich ab 2019 ändern: Die große Koalition hat nun ein Gesetz – das GKV VEG (Versichertenentlastungsgesetz) – auf den Weg gebracht, wonach der Zusatzbeitrag künftig hälftig von den Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden soll. Damit ist die sogenannte Beitragsparität wiederhergestellt wie auch beim allgemeinen Beitragssatz, bei dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer heute schon jeweils 7,3 Prozent des sozialversicherungspflichtigen Einkommens tragen müssen.

Mit acht Milliarden Euro werden die Kassenmitglieder dadurch künftig entlastet – beim Einzelnen mit einem Monatseinkommen von rund 3.000 Euro sind das 15 Euro pro Monat. Allerdings ist der Zusatzbeitrag ursprünglich mal eingeführt worden, um den Wettbewerb unter den gesetzlichen Kassen zu entfachen. Die Versicherten bekämen über den Zusatzbeitrag, der sich nach der Höhe des Versicherteneinkommens bemisst, ein Preissignal, so die etwas naive Annahme einiger Gesundheitsökonomen. Und die Kassen würden zu mehr Wirtschaftlichkeit gezwungen, wenn sie bei ihren Versicherten den Extra-Obolus einholen müssten.

Willkommen in der Realität! Alle der 110 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland erheben mittlerweile diesen Zusatzbeitrag, der im Schnitt ein Prozent des Beitrags ausmacht – und welch Versicherter errechnet sich schon seinen individuellen Krankenkassen-Zusatzbeitrag, um seine Kasse zu wechseln? Die Zahl der Versicherten die dies tun, dürfte sich im Promillebereich bewegen. Preissignal adé! Entsprechend still ist es auch unter Gesundheitspolitikern geworden: Das Wort Kassenwettbewerb nimmt keiner mehr in den Mund. Weil es ihn nicht gibt!

Was kaum ein Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung weiß: Das Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenkassen ist zu rund 95 Prozent identisch. Was Krankenkassen zu zahlen haben und was nicht, legt ohnehin der Gemeinsame Bundesausschuss in Berlin fest – ein Gremium bestehend aus Krankenhäusern, Ärzten und Kassen. Und da, wo die Kassen einen Spielraum haben, löst er sich nahezu in Luft auf.

Denn kaum eine Kasse kann es sich heute noch leisten, marketingträchtige Zuschüsse bei Fitnessangeboten, Babyschwimmen und Homöopathie nicht zu finanzieren. Insofern sind die Unterschiede im Leistungsangebot eher mit Lupe zu suchen.
Doch warum gibt es dann noch 110 Krankenkassen für ein staatliches identisches Krankheitsversicherungsprodukt? Weil sie Teil der Selbstverwaltung sind und sie deswegen anderen ordnungspolitischen Prinzipien unterliegen. Seit den neunziger Jahren sind mehr als 1.000 Kassen von der Bildfläche verschwunden. Aber derzeit 110 Kassen sind definitiv immer noch zu viele.

Die gesetzlich Versicherten zahlen 90-mal Verwaltungs-, und Marketingkosten. In der Summe könnten Milliarden eingespart werden.
Moderne Websites und teure Anzeigenkampagnen täuschen nicht darüber hinweg, dass hinter den Kulissen in der Regel noch veraltete, bürokratische Verwaltungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung vorherrschen. Wir brauchen einen rascheren Konzentrationsprozess, an dessen Ende regionale Einzelkassen stehen. Online kann ohnehin mittlerweile jeder Versicherte Kontakt zu seiner Kasse aufnehmen. Wozu noch teure und aufwendige Verwaltungsstrukturen? Schlanke Verwaltungsstrukturen mit einer Kasse pro Bundesland sollten zur Betreuung der Menschen ausreichen.
Einigen wir uns darauf, die unnütze Kassenvielfalt abzuschaffen. Sie hat schon lange keine Funktion mehr. Dann haben sich auch die Tricksereien der Krankenkassen sich noch ein paar Millionen aus dem Risikostrukturausgleich zu organisieren. Der Risikostrukturausleich ist ein Mechanismus, der das finanzielle Risiko jeder Krankenkasse durch die Krankheiten ihrer Versicherten ausgleicht. Dieser Ausgleich ist seit Jahren ein Zankapfel in der Kassenwelt, der enorme Ressourcen und auch Gelder in den Kassen verschlingt.
Die Einsparungen durch die Abschaffung Dutzender „Wasserköpfe“ wären also erheblich und könnten in die sinnvolle medizinische Versorgung gesteckt werden. Welche Erfahrungen haben Sie mit der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht? Brauchen wir 110 Krankenkassen? Ich freue mich auf Ihre Erfahrungsberichte!

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.