Corona / Gesundheitspolitik / Jens Spahn

Herr Spahn: Bitte keine vergifteten Geschenke

Die Corona Krise scheint zunehmend auch in den Köpfen der Politiker zu Ende zu gehen. Die Zahlen zeigen eine positive Entwicklung, jetzt müssen die Menschen Eigenverantwortung leben, Abstand halten, Hygieneregeln beachten und besonders die älteren Mitbürger schützen.

Gleichzeitig mit dem vermeintlichen Krisenende droht jetzt eine neue Gefahr: Die politisch-populistische Wiedergutmachung.
Selbstverständlich müssen wir allen Menschen, die sich in den letzten Wochen in der Krise engagiert haben, danken, das sind jedoch nicht nur die Mitarbeiter in der Pflege. Glücklicherweise gab es in Deutschland bisher keine dramatischen Situationen. Dafür haben sich unendlich viele Menschen mit riesigem Engagement eingebracht, um die bundesweit fehlende Krisenvorhaltung zu kompensieren. Was die Logistiker in den Kliniken und für die Landkreise geleistet haben – Hut ab.

Die vielen Freiwilligen beim DRK, dem THW, der Feuerwehr – das Engagement der Bürger, die Spenden – all das hat den Mitarbeitern in den Kliniken und Pflegeheimen Mut gemacht und ist ein großartiges Zeichen der Solidarität. Dieses Engagement war Ehrensache, Berufsverständnis, Menschenliebe…. aber jetzt kommt die Zeit der Lehren. Was muss sich nachhaltig in unserem Gesundheitssystem ändern?

Was wir jetzt nicht brauchen, sind kurzfristige „Geschenke“ an die Menschen und Interessensgruppen, die bei genauer Betrachtung, die Situation in der Patientenversorgung vor Ort verschlechtern. Der Vorschlag von Gesundheitsminister Spahn, den Mitarbeitern der Pflege in diesem Jahr 5 und im kommenden Jahr 6 zusätzliche Urlaubstage zu schenken, mag gut klingen, die Realität gestaltet sich jedoch anders.

  • In Deutschland fehlen hunderttausende Pflegekräfte. Mehr Urlaubstage bedeuten mehr Mitarbeiter. Ein Beispiel: Ein Klinikum mit rund 300 Betten und rund 700 Mitarbeitern gewährt diese Urlaubstage zusätzlich, das bedeutet 6 VK Pflegekräfte zusätzlich in 2020 und 7 in 2021, oder, wenn diese nicht verfügbar sind: entsprechend rund 20 Betten weniger für die Patientenversorgung. Welchen Sinn macht also ein solcher Vorschlag für die Patientenversorgung?
  • Die Kosten für die Pflegeheime und für die Gesundheitsversorgung werden steigen, die Lasten für die Angehörigen und die Sozialabgaben müssen diesem Trend folgen, denn auch die Gruppe der Pflegbedürftigen nimmt ständig zu.
  • Die Wirtschaft wird über die Lohnnebenkosten ebenfalls belastet, das treibt die Verbraucherpreise in die Höhe. Würde nun noch eine Steuerhöhung folgen, bliebe noch weniger netto vom brutto.
  • Es sind nicht nur die Pflegekräfte, es sind alle Menschen in den systemrelevanten Berufen (Feuerwehr, Krankentransport, Bestatter) und viele Freiwillige, die in der Krise engagiert sind. Es sind die Kurzarbeiter, und die Menschen, die weniger im Geldbeutel haben, es sind die Selbständigen, die Unternehmen in Schieflage, kurzum, sehr viele Menschen wuppen die Krise.

Jetzt einzelne Betroffene zu beglücken klingt zwar schön, ist am Ende aber unsolidarisch und zerstört den neu entdeckten gemeinsamen Geist. Die Menschen brauchen zuallererst die Verantwortung zur Gestaltung ihres Lebens und damit verbundene Chancen zurück.

Politik sollte jetzt nachhaltige Lehren ziehen und für transparente grundsätzliche Diskussionen sorgen:

  • Krisenvorsorge – eine Panik, wie jetzt erlebt, darf sich nicht wiederholen, das System muss Krisen professionell managen können.
  • Bürokratieabbau – die Krise konnte nur bewältigt werden, weil Bürokratie ausgesetzt wurde, das zeigt eine große Baustelle auf.
  • Kostensenkung im Staatsapparat – die Menschen dürfen in der Zukunft finanziell nicht überlastet werden.
  • Veränderung der Versorgungslandschaft – dezentrale, also regionale und sektorenübergreifende Entscheidungskompetenz sichert eine funktionierende Versorgung.

Lieber Herr Spahn, liebe Bundesregierung – springen Sie jetzt nicht über jedes Leidensstöckchen, schaffen Sie Raum für nachhaltige Chancen! Die Kreativität und das Engagement war und ist immer unser Pfund gewesen, dieses gilt es zu fördern, zu locken und eben nicht zu ersticken.

Dazu braucht es eine neue politische Haltung und neue Bilder für eine funktionierende, systemrelevante Grundversorgung und ein blühendes Deutschland in Europa.

Schreiben Sie mir! Ich freue mich auf Ihre Meinung.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.