Antibiotika

Im Stich gelassen

Es werden ja nahezu täglich neue gesundheitspolitische Kühe durchs Dorf getrieben. Dieses Thema verlangt aber definitiv mehr Aufmerksamkeit als es bekommen hat. Die Redaktion des Politmagazins Panorama sendete unlängst einen Beitrag über den Rückzug der großen Pharmakonzerne aus der Antibiotikaforschung. Nachdem nun auch der größte Player, Johnson & Johnson, angekündigt hat, sich auch diesem Forschungsbereich zu verabschieden, arbeitete ein Autorenteam das brisante Thema auf.

Nur noch einmal zum Hintergrund, für alle, die sich gerade bester Gesundheit erfreuen: Antibiotika zählen zu den wichtigsten Arzneimitteln überhaupt. Ihre Wirkstoffe hemmen oder töten das Wachstum von Bakterien ab. Durch die Verabreichung von Antibiotika werden Infektionen im menschlichen Körper bekämpft – also beispielsweise Lungen- oder auch Blasenentzündungen. Sie kommen aber auch bei Operationen zum Einsatz. Also überall dort, wo gefährliche Keime und Bakterien in den menschlichen Körper gelangen können. Ihre Effekte beruhen auf der selektiven Interaktion mit molekularen Strukturen, die für die Erreger spezifisch sind. Kurz: Jeder von uns kann morgen schon auf Antibiotika angewiesen sein.

Nun das Problem: Im Laufe der Zeit sind auch die Keime schlauer geworden. Sie lassen sich durch die herkömmlichen Antibiotika nicht mehr, oder nicht mehr so wirkungsvoll bekämpfen. Wir sprechen hier von Resistenzen. Auch, weil wir Ärzte eine Zeit lang zu sorglos, diese Medikamente verschrieben haben. Das Problem ist erkannt. Eine Studie des Zentralinstituts für kassenärztliche Versorgung (ZI) verkündete kürzlich, dass die Verordnung von Antibiotika deutlich zurück gegangen ist:

„Wurden unter den Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2010 noch 562 Verordnungen pro 1.000 Versicherte ausgestellt, waren es 2018 nur noch 446. Das ist ein Rückgang um insgesamt 21 Prozent.“ Und erfreulicherweise ist der Rückgang bei den Säuglingen und Kindern am stärksten. Sie bekamen 2018 fast 50 Prozent weniger Antibiotika verschrieben.

Ein deutlich rückläufiger Verbrauchstrend konnte zudem in nahezu allen Bereichen der Kassenärztlichen Vereinigungen und für die überwiegende Zahl der eingesetzten Wirkstoffgruppen beobachtet werden, teilt das ZI mit. Des einen Freud, ist des anderen Leid könnte man nun lakonisch feststellen. Denn für die Pharmaindustrie lohnt sich das Geschäft mit Antibiotika nicht mehr. Sie verdienen schlicht zu wenig daran. Die Margen für Krebsmedikamente oder auch Medikamente für chronische Krankheiten liegen um ein Vielfaches höher.

Multis wie AstraZeneca, Sanofi oder Novartis stiegen in den vergangenen Jahren aus der Forschung aus. Die Suche nach neuen Antibiotikawirkstoffen sei zu teuer und zu riskant. Jetzt können privatwirtschaftliche Unternehmen salopp gesagt, machen was sie wollen – auch Arzneimittelhersteller.

Und hier beginnt das Problem. Der Staat reguliert Krankenhäuser, die Ärzte und auch die Krankenkassen, nur im Arzneimittelsektor beschränkt sich das staatliche Engagement auf die Vorgabe von Qualitätsstandards und die Überwachung der Produktion. Letzteres auch nur sehr unzureichend, lesen Sie hierzu meinen Blogbeitrag vom 16.08.2018 „Umbau der Arzneimittelaufsicht – jetzt“ Dabei haben die Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung einen Anspruch auf Arzneimittel.

Wenn sich die Pharmahersteller aus der Antibiotikaforschung nun zurück ziehen bei gleichzeitig steigendem Forschungsbedarf ist dies schlicht ein Systemversagen, dem künftig Tausende von Patienten, bei denen die herkömmlichen Antibiotika nicht mehr wirken, zum Opfer fallen könnten. All das wird in Fachkreisen mit höchster Sorge diskutiert. Allein der Ausweg aus dieser Situation fehlt.

Der Staat wird nicht umhinkommen, die nun entstandene Forschungslücke zu kompensieren. Das benötigt Zeit, viel Geld und Ressourcen. Eine weitere Großbaustelle im Gesundheitswesen ist dazu gekommen.

Was ist Ihre Meinung? Hätte das Bundesgesundheitsministerium früher auf diese besorgniserregende Entwicklung reagieren müssen? Wie können wir künftig sicherstellen, dass wir noch die Medikamente bekommen, die wir auch benötigen? Ich bin gespannt auf Ihre Reaktionen. Schreiben Sie mir!

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.