Corona

Impf-Ethik – die falsche Reihenfolge?

Der Ethikrat hat eine Empfehlung ausgesprochen, die Bundesregierung setzt diese um. Was aber bedeuten diese Entscheidungen? Bisher gab es den eiserner Grundsatz das Selbstschutz vor Fremdschutz geht. Für die Helfer, ob Feuerwehr, Polizei, Rettungsdienst, Ärzte und Pflege hatte der Selbstschutz oberste Priorität. Der Gedanke dahinter: Nur wenn Du selbst gesund und sicher bist, hast Du die volle Einsatzfähigkeit um die Krise dauerhaft zu bewältigen.

Der deutsche Ethikrat und die Politik haben sich entschieden diese Regel zu brechen.  Geschützt werden zunächst die möglichen Kranken. Die noch gesunden Helfer (Ärzte, Pflege, Rettungsdienst) kommen an zweiter Stelle. Sie müssen sich täglich weiter dem besonderen Risiko aussetzen sich selbst und in der Folge ihre Familien zu infizieren. War und ist das wirklich klug und richtig?

Hätte nicht das Personal im Gesundheitswesen ganz oben stehen müssen? Die Arbeitsfähigkeit und das Risiko für die Mitarbeiter und die Familien wäre sicherlich reduziert werden können, nicht aber der Arbeitsanfall. Die alten Menschen wären weiter gefährdet und damit auch die Systemüberlastung ein ständiges Risiko, dem nur mit verlängerten Lockdown begegnet werden kann.

Impft man die sehr alten Menschen zuerst, besteht die Chance die Zahl der stationären Fälle und die Belastung der Intensivstationen zu reduzieren. Diese Entlastung kann bei schneller Durchimpfung der Hauptrisikogruppe (>80Jahre) innerhalb weniger Wochen eintreten und mehr als 50% des Corona Krankenhausaufenthalte reduzieren. Der Preis bis dorthin ist möglicher Weise ein erhöhter Personalausfall durch wochenlang hohen Arbeitsanfall.
In dieser Variante liegt jedoch die große Chance den Lockdown schnell beenden zu können. Infektionszahlen werden weniger wichtig, wenn die wesentliche Belastungsquelle für das Gesundheitswesen, die Generationen 80+, 70+ nachhaltig wegfallen.

Aktuell sehen wir, dass die Belastung und die Krankheitsquote des medizinischen Personals steigt, nicht nur durch Infektion mit Corona, sondern auch wegen Überlastung und anderer Krankheiten. Das Personal fällt aus, die verfügbaren Ressourcen sinken und damit auch die Möglichkeiten für alle kranken Menschen da zu sein. Das Risiko auch ohne COVID Infektion zu sterben steigt dramatisch, da Intensivstationen nicht mehr betrieben oder OP-Säle etc. nicht mehr verfügbar sind.

Wir müssen also zwei Dinge tun: 1. Die Generationen 80+ & 70+ durch die Impfung aus den Kliniken verbannen und 2. die Mitarbeiter in der Akutversorgung durch Impfung schützen. Vor allem in den Notaufnahmen, auf den Corona Stationen, den Funktionsbereichen und den Intensivstationen, Mitarbeiter der Pflegeheime, Pflegedienste, Rettungsdienste nicht zu vergessen.  Wenn wir das geschafft haben, können vorübergehend auch die infektionszahlen steigen lassen, weil die große Zahl der schweren Krankheitsverläufe sinken wird. Bei gleichzeitig stetig wachsendem Anteil geimpfter Bevölkerungsgruppen werden die Zahlen mittelfristig wieder sinken. Das Modell macht Hoffnung auf das schnellste Ende des Lockdown – wenn der Impfstoff dann auch verfügbar ist und in großer Stückzahl geimpft werden kann.

Wann aber ist es Zeit den Lockdown zu beenden? Welche Infektionszahlen sind wir bereit zu ertragen? Wie viele Corona-Tote sind akzeptabel? Welcher Maßstab wird angelegt? – Die jährlichen Todesfälle bei Diabetes, Herz- Kreislauferkrankungen, Verkehrsunfällen oder, oder? Ab wann werden Vertreter der Interessensgruppen eine neue Bewertung der Lage einfordern?  Wie wird Politik den Umkehrpunkt zur Lockerung definieren? Wie viele stationäre Corona-Fälle, wie viele Tote oder welche Infektionszahlen werden die Obergrenzen?

Eines ist klar: Mit dem Beginn der Impfung müssen auch die Kennzahlen neu definiert werden.

 

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.