AOK / GKV

Kassenwahl: Angriff auf die Allgemeinen Ortskrankenkassen – aber reicht das!?

Pünktlich zu den Osterfeiertagen hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den Chefs der Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) ein besonders dickes Ei ins Nest gelegt. Und die sind alles andere als erfreut darüber. Spahns Plan: Die AOKen sollen mehr das Lüftchen des Wettbewerbs zu spüren bekommen, als sie es bisher gewohnt waren. Und das könnte folgendermaßen geschehen: Bislang gibt’s 11 Allgemeine Ortskrankenkassen in Deutschland: Sie bilden nur noch ungefähr den Zuschnitt der Bundesländer ab. Beispiel: Zum Einzugsgebiet der AOK-Nordost gehören Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Sie versichert nur Menschen, die in diesem Einzugsgebiet leben oder arbeiten. Ein Lokführer aus Regensburg kann sich also nicht bei der AOK-Nordost versichern lassen.

Jens Spahn will nun, dass sich alle gesetzlich Krankenversicherten in Deutschland in allen Kassen versichern lassen können – mit Ausnahme einiger Betriebskrankenkassen, die nur Mitarbeiter eines bestimmten Unternehmens aufnehmen. Bislang ist diese freie Kassenwahl nur in Teilen möglich. Während beispielsweise die Barmer oder auch die Techniker Krankenkasse Mitglieder in ganz Deutschland versichern und aufnehmen müssen, kümmern sich die AOKen nur um die Versicherten in ihrem regionalen Einzugsgebiet, oder auch beispielsweise die Innungskrankenkassen. Dieser Flickenteppich in der Gesetzlichen Krankenversicherung, welcher Versicherte in welche Kasse wo darf, hat sich historisch entwickelt. Spahn spricht deswegen auch von einem „historischen Anachronismus“.

Und es ist wirklich schwer zu verstehen, warum von 109 gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland, 44 noch nicht bundesweit tätig sind. Das bedeutet im Klartext: Gut 30 Millionen Versicherte können sich nicht frei ihre Kasse wählen. Damit entgeht ihnen bares Geld.

Auch hier wieder ein Beispiel: Die AOK Nordost verlangt einen Zusatzbeitrag von 0,9 Prozent. Die AOK Sachsen-Anhalt dagegen nur von 0,3 Prozent. Preisbewusste Versicherte können nicht in die AOK Sachsen-Anhalt gehen, wenn sie dort nicht wohnen oder arbeiten. Dieses Durcheinander von bundesweit geöffneten Kassen und Kassen, die nur regional tätig sind, ist für die Versicherten vor allem eines: unübersichtlich und teuer. Die AOKen dagegen haben mit ihren regional geöffneten Kassen ein relativ gesichertes Geschäftsmodell. Auch weil die Rechtsaufsicht, vertreten durch das jeweilige Bundesland, ihnen weniger streng auf die Finger schaut als das Bundesversicherungsamt, dass beispielsweise Barmer, Techniker und Co. beaufsichtigt.

Spahns Ziel ist, mit dem Faire-Kassenwahl-Gesetz regionale Marktkonzentrationsprozesse und damit die Sonderstellung der AOKen in den Ländern aufzubrechen und einen einheitlichen Ordnungsrahmen für die Gesetzliche Krankenversicherung zu schaffen. Das ist überfällig. Über Jahrzehnte hinweg haben sich verkrustete Strukturen gebildet, die zu hinterfragen sind.

Das Vorhaben ist ganz nett, bringt es die AOK doch unter Druck. Aber mal ehrlich, wird sich dadurch Wesentliches ändern? 109 gesetzliche Krankenkassen, 109 Verwaltungen, 109 Unternehmen, die sich mit erheblichem Marketingaufwand (Werbespots, Anzeigen, Sponsoring) und mit zu 100 Prozent identischen Leistungen bei der Bevölkerung anbieten. Die immer selben zähen Verwaltungsprozesse bei den Versicherten mit dem Ziel, das Geld möglichst nicht auszugeben – und dann noch der sogenannte Risikostrukturausgleich, der die Krankheitsrisiken unter den Kassen ausgleichen soll.

Den Unterschied unter den 109 gesetzlichen Krankenkassen machen vielleicht Präventionsangebote, die aber häufig eher Lockangebote für neue Mitglieder sind.
Das Einsparpotenzial ist also gewaltig. Durch Konzentration und Digitalisierung der gesetzlichen Krankenkassen könnten Milliarden eingespart und die Krankenkassenbeiträge um ein bis zwei Prozent gesenkt werden. Die verbleibenden acht bis zehn regionalen Krankenkassen müssten dann gemeinsam mit Krankenhäusern, Ärzten und Therapeuten eine sinnvolle Versorgung sicherstellen. Das wäre innovativ und würde die Pflichtbeiträge absenken oder mindestens stabil halten.

Die AOKen nun aus ihrer Komfortzone herauszuholen ist ganz nett, aber es bedarf grundsätzlicher Weichenstellungen! Die Fragen müssen lauten: Wie kann die Bevölkerung mit geringstem Mitteleinsatz optimal versorgt werden? Welche Anforderungen müssen dafür erfüllt werden? Auf diese grundsätzlichen Fragen gibt Herr Spahn auch mit diesem Vorhaben keine Antwort.

Wie ist Ihre Meinung? Sollte alles beim Alten bleiben, oder ist es nicht an der Zeit, die überlangen Zöpfe in der Gesetzlichen Krankenversicherung abzuschneiden? Diskutieren Sie mit mir! Ich freue mich auf Ihre Beiträge.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.