Kein Automatismus bei der Organspende

Künftig könnte jeder zum Organspender werden. Eine Farce: Persönlichkeitsrechte können nicht durch „Ein Gesetz für alle“ geregelt werden.

Haben Sie einen Organspenderausweis? Nein?! Vermutlich gehören Sie zur großen Mehrheit der Menschen in unserer Gesellschaft, die das Thema zwar „irgendwie“ wichtig finden, aber sich (noch) nicht die Zeit genommen haben, mit der Thematik eingehend auseinanderzusetzen. Wie auch? Es gehört schon einiges dazu, sich an einem Wochenende an dem die Kinder nach einem Besuch im Zoo schreien, oder eine Geburtstagsfeier der 70-jährigen Patentante ansteht, an den Tisch zu setzen und mit dem Lebenspartner zu erörtern, was im Falle eines tödlichen Unfalls mit den eigenen Organen passieren soll. Die Deutsche Stiftung Organspende meldet einen Tiefststand der Spenderzahlen in Deutschland. Gerade einmal 797 Menschen haben 2.594 Organe 2017 gespendet. Das sind 9,5 Prozent weniger gegenüber dem Vorjahr. Wie viele Menschen tatsächlich einen Organspendeausweis besitzen, darüber gibt es lediglich Schätzungen. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat 2018 eine Repräsentativbefragung durchgeführt, demnach besitzen 36 Prozent der Deutschen einen Ausweis – immerhin mehr als jeder Dritte bekennt sich damit zur Organspende. Trotzdem warten derzeit rund 10.000 Patienten auf ein lebensrettendes Organ. Da liegt ein Systemwechsel auf der Hand.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat im August einen Referentenentwurf für ein „Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende“ vorgelegt. Schon der Titel ist irreführend. Neben finanziellen und organisatorischen Verbesserungen für eines der rund 1.300 Krankenhäuser in Deutschland, die Organe entnehmen dürfen, ist ein für die Versicherten grundlegender Systemwechsel geplant.

Bislang galt in Deutschland die sogenannte Entscheidungslösung. Der Versicherte hat sich aktiv für eine Organspende entschieden und dokumentiert dies durch den Organspendeausweis. Die Krankenkassen sind zudem gesetzlich dazu verpflichtet, die Versicherten im Abstand von zwei Jahren anzuschreiben und über die Organspende und den Ausweis zu informieren. Bundesgesundheitsminister Spahn kann sich künftig vorstellen, das System auf eine Widerspruchslösung umzustellen. Damit wäre jeder künftig Organspender, solange er zu Lebzeiten nicht widersprochen hat. Die Widerspruchslösung existiert in vielen europäischen Staaten wie zum Beispiel Österreich, Frankreich, Irland, Polen, Türkei und etliche andere. In Belgien, Finnland und Norwegen beispielsweise haben Angehörige das Recht, einer Organentnahme zu widersprechen, wenn von der verstorbenen Person keine Entscheidung dazu vorliegt. Jetzt steht die deutsche Entscheidungslösung zur Disposition. Ein guter Vorschlag? Ich persönlich bin gegen die Widerspruchslösung. Warum?

  • Entscheidungen, die das persönliche Leben eines jeden Menschen betreffen, müssen stets selbst und aktiv getroffen werden. Ein Gesetz für alle in einer für jede Person so wichtigen Frage, verstößt meiner Ansicht nach gegen das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Menschen. 
  • Die Menschen müssen die Möglichkeit haben, jederzeit ihre Meinung zu ändern. Dies ist nur durch eine aktive Entscheidungslösung sichergestellt – alles andere ist manipulierbar. 
  • Die Widerspruchslösung senkt die Missbrauchshürde und eröffnet somit neue Risiken. Auch wenn die Deutsche Stiftung Organspende sich offenkundig von den Skandalen wie manipulierte Wartelisten erholt hat, eine Widerspruchslösung könnte das Misstrauen gegen Ärzte und das Medizinsystem neu aufleben lassen. 
  • Durch die Widerspruchslösung werden sich die niedrigen Transplantationszahlen nicht erhöhen. Die Transplantationszahlen korrelieren mit den Unfallzahlen und die sind seit Jahren gesunken. 
  • Statt jeden Bürger in Deutschland zum Organspender zu machen, sollte der Gesetzgeber die Forschungsmittel erhöhen, beispielsweise für die Stammzellforschung. Schon heute ist es möglich, aus gesundem Gewebe neue Organe zu züchten. Modernste medizinische Verfahren könnten so den Transplantationssektor revolutionieren und zu völlig neuen Erfolgen verhelfen.

Wie denken Sie über die Widerspruchslösung? Haben Sie ein Problem damit, oder ist das eine gute Idee? Der Bundestag hat heute darüber diskutiert. Wir sollten das Thema den Volksvertretern nicht alleine überlassen. Ich bin gespannt auf Ihre Meinung. Ihr, Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.