Gesundheitspolitik / Krankenhausmarkt

Krankenhäuser im Würgegriff des Marktes

Immer mehr Krankenhäuser melden Insolvenz an oder häufen Schulden an. Der Krankenhausmarkt konsolidiert sich ungeordnet und anarchisch – auch weil ein ordnungspolitischer Plan fehlt. Es wird höchste Zeit, dass wir eine Idee davon entwickeln, wie die Krankenhauslandschaft der Zukunft aussehen soll.

Es ist Adventszeit, liebe Laut-Blog-Leserinnen und Leser, und wir öffnen einmal zwei Türchen auf unserem imaginären Adventskalender der Gesundheitspolitik. Dahinter finden wir zwei Meldungen, die auf dem ersten Blick nichts miteinander zu tun haben. Das Robert-Koch-Institut rät in einer aktuellen Studie, eine Reduzierung vermeidbarer Krankenhausaufenthalte, um gefährliche Krankenhausinfektionen zu vermeiden – der denkbare Grund: ein Überangebot von Krankenhausleistungen. Gleichzeitig hat eine Online-Petition mit dem Motto „Stoppt das Krankenhaussterben im ländlichen Raum“ die Schwelle von 50.000 Unterzeichnern erreicht. Nun muss sich der Petitionsausschuss im Bundestag mit der Forderung beschäftigen. Die Initiative wird angeführt von einem ehemaligen Chefarzt. Verkehrte Welt?

Nein, beide Forderungen habe ihre Berechtigung. In Deutschland erleben wir derzeit ein Politikversagen erster Klasse! Krankenhäuser melden Insolvenz an, schließen geplant oder Standorte und Unternehmen fusionieren. Die wirtschaftliche Lage vieler, meist kleinerer und mittlerer Krankenhäuser ist besorgniserregend. Doch es trifft nicht nur die kleineren Häuser wie jüngst die Kreisklinik Groß-Gerau, die Insolvenz in Eigenverwaltung beantragte. In Bremen musste vor kurzem die Geschäftsführerin des Klinikkonzerns Gesundheit Nord (Geno), Jutta Dernedde, ihren Arbeitsplatz räumen: Das Defizit 32 Millionen Euro. Zur Einordnung: Die Geno ist Bremens drittgrößter Arbeitgeber und versorgt mit 7.500 Mitarbeitern mehr als 100.000 stationäre und 150.000 ambulante Fälle im Jahr – alles andere als ein Leichtgewicht.

Ebenso in die finanzielle Schieflage ist das Universitätsklinikum Rostock geraten: Es hat ebenfalls einen Verlust von 32 Millionen eingefahren, nachdem das Klinikum zehn Jahre schwarze Zahlen schrieb. Die Gründe sieht die kommissarische Vorstandsvorsitzende Gabriele Nöldge-Schomburg in steigenden Personalkosten, notwendigen Investitionen etwa für einen Linearbeschleuniger und Magnetresonanztomographen sowie geringeren Einnahmen aufgrund von Bettensperrungen bedingt durch Personalmangel und weniger schwerkranken Patienten, die das Uniklinikum aufsuchten. Nun kann ein landeseigener Betrieb wie ein Universitätsklinikum nicht Pleite gehen – die Verluste treffen alle Steuerzahler.

Die Liste solcher Beispiele ließe sich variantenreich fortführen. Sie zeigt vor allem eines:

Wir erleben in Deutschland eine anarchische Konsolidierung des Krankenhausmarktes.

Seit der Einführung der DRG, der sogenannten Fallpauschalen, kämpfen viele Krankenhäuser um ihre Existenz. Was als großartiges Instrument der leistungsorientierten Vergütung eingeführt wurde, ist zu einem bürokratischen und unehrlichen Kostenerstattungssystem mit gravierenden Fehlanreizen verkommen. Und ja, wir haben in einigen Regionen Deutschlands zu viele sehr kleine Kliniken, zu nennen sind hier beispielsweise das Ruhrgebiet und andere Flächenstaaten. Aber auch in Städten wie Hamburg oder auch Frankfurt, Mainz, München und vielen anderen Städten. Die Kliniken konkurrieren um Patienten, aber sehr intensiv vor allem um Personal bei demographisch steigendem Patientenaufkommen und einer zu kurzen Finanzdecke.

Mit einer Vielzahl von Einzelgesetzen etwa zur Qualitätssicherung, Personalschlüssel oder Digitalisierung werden die Krankenhäuser reglementiert, ohne dass das große Ganze in den Blick genommen wird. Die Fragen: Wo benötigen wir Krankenhäuser? Wo gibt es zu viele? Wie muss eine Krankenhausversorgung der Zukunft aussehen, die den Bedarf der Menschen nach Qualität und Wohnortnähe denkt?

Fragen wie diese werden trotz zahlreicher Studien von Beratungsunternehmen und Wissenschaftlern nur unzureichend beantwortet – interessengeleitet und radikal, je nachdem aus welcher Ecke sie kommen. Jüngstes Beispiel kam aus dem Hause Bertelsmann, die ein Drittel der Häuser kurzerhand für überflüssig erklärten. Hilft uns das weiter? Ich meine nein.

Ein erster Ansatz ist ein Krankenhausgipfel, den die Krankenhausverbände und auch der Deutsche Pflegerat (DPR) jetzt fordern. Der Präsident des DPR, Franz Wagner, fordert entsprechend einen konzeptionellen Rahmen für die Zukunft des Krankenhaussektors. Das wäre ein Anfang. Die Krankenhäuser sich selbst zu überlassen und darauf zu warten, dass diese sich kannibalisieren, ist eine wenig sozialstaatliche Lösung. Wir brauchen eine ganzheitliche Versorgungsplanung – die ambulanten und stationären Sektoren, die Nachsorge und die Pflege. Das ist eine hochpolitische Aufgabe, die heute von den Verantwortlichen weitgehend verweigert wird.

Die Menschen leben in Regionen, Städten und Gemeinden – dort muss die Versorgung funktionieren. Vor Ort bestehen Rahmenbedingungen, die berücksichtigt werden müssen. Das geht nicht mit entrücktem Blick der Realitäten aus Berlin oder den Landeshauptstädten. Gesundheit ist unsere Existenz! Sie bewegt die Herzen, sie betrifft die Arbeitsfähigkeit, sie sichert den sozialen Frieden und sie sorgt für leistungsfähige Arbeitskräfte. Alle diese Ebenen müssen bedacht und berücksichtigt werden, das geht nicht aus Berlin, das können keinen interessengeleiten Verbände der Selbstverwaltung.

Subsidarität lautet das Gebot der Stunde. Die politischen und administrativen Ebene der Kreise, Städte und Gemeinden müssen passgenaue Lösungen erarbeiten und den Menschen vermitteln können. Sachgerecht funktioniert nicht mit der abgehobenen wissenschaftlichen und bundesweiten Heckenschere. Wir brauchen gestufte Planungs-, Entscheidungs-, und Steuerungsinstrumente mit denen die regionalen Bedarfe berücksichtigt werden können.

Das deutsche Gesundheitswesen braucht keine politischen Pflaster. Zum Wohle der Patienten und Bürger ist eine Zukunftsvision und ein strukturiert gesteuerter Umbau unabdingbar!

Was ist Ihre Meinung? Sind Ihnen die wirtschaftlichen Nöte vieler Krankenhäuser bekannt? Sollte die Politik gestaltend eingreifen? Und wie würde eine gute Krankenhausversorgung für Sie aussehen? Schreiben Sie mir! Ich freue mich über Ihre Beiträge.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.