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Frauen mit Lipödem werden allein gelassen & Krankenkassen bekommen ihr Fett weg.

Fett oder krank? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will nicht mehr darauf warten, bis diese Frage – endlich – beantwortet wird und hilft jetzt Frauen, die am sogenannten Reiterhosensyndrom leiden. Medizinisch heißt diese Krankheit Lipödem und sie äußert sich in einer sehr unschönen Fettverteilungsstörung – nahezu ausschließlich bei Frauen.

Jens Spahn will, dass diese Frauen, sich künftig das Fett absaugen lassen können – auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen. Bislang war das nicht möglich. Damit präsentiert sich der Minister als echter Frauenversteher, im Gegensatz zu den Kassen und dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Letzterer ist DAS Gremium in unserem Gesundheitssystem, das über die Erstattung beziehungsweise Nicht-Erstattung von Leistungen entscheidet. In dem Ausschuss sitzen Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenhäuser und der Krankenkassen.

Wie viele Frauen davon profitieren werden, weiß niemand so genau. Es gibt schlicht keine Zahlen. Das spielt aber auch keine Rolle.

Hinter Spahns Vorstoß, den verzweifelten Frauen zu helfen, steckt wesentlich mehr als eine empathische Geste. Unser Gesundheitssystem ist ein träges und bürokratisches Monstrum geworden.

Wenn keine gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, ob eine Methode einen Nutzen hat, wird sie von den Kassen auch nicht bezahlt. Doch was ist, wenn keine aussagekräftigen Studien zu einem Krankheitsbild vorliegen? Existiert dann auch die Krankheit nicht? Beim Lipödem scheint das der Fall zu sein. Obwohl Frauen gegen Krankenkassen geklagt haben, das Lipödem als lymphologisches Syndrom also den Kassen bekannt ist, werden die Frauen mit dieser Erkrankung alleine gelassen.

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat 2018 eine sogenannte Erprobungsstudie beschlossen, um die fehlenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu sammeln. Nur: Diese Studien dauern Jahre. Solange müssen die Frauen mit dieser schmerzhaften und unansehnlichen Fettverteilungsstörung leben. Das kann nicht sein!

Ein solidarisches Gesundheitssystem lässt verzweifelte Kranke nicht alleine, sondern kümmert sich um sie. Genau das passiert nicht: Krankenkassen und Bundesausschuss verstecken sich hinter einer Argumentation die rein formale Aspekte anführt.

Jens Spahn ist couragiert genug, der Selbstverwaltung, in der Kassen, Ärzte und Krankenhäuser organisiert sind, ins Handwerk zu pfuschen. Das traute sich vor ihm noch keiner. Im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) will Jens Spahn jetzt regeln, dass das Gesundheitsministerium Methoden in die Erstattung bringen kann, wenn es für diese noch keine gesicherten Belege und keine zumutbaren Alternativbehandlungen gibt. Damit macht Spahn den Job der Selbstverwaltung. Das wäre ein Novum und im Kern muss es als problematisch angesehen werden, wenn der Gesundheitsminister – Spahn ist gelernter Bankkaufmann – nach seinem Gusto Leistungen in die Erstattung bringt, oder auch nicht. Da wäre je nach parteipolitischer Couleur ein medizinisch-ideologisches Chaos in der Leistungserbringung vorprogrammiert. Hier muss es klare Regeln geben:

Politiker sind keine Mediziner. Wenn die Selbstverwaltung jedoch versagt, wie im Falle des Lipödems, muss man sich fragen, wie eine Lösung im Sinne aller Beteiligter aussehen kann. Hier fehlte dem Gemeinsamen Bundesausschuss bislang die Kreativität.

Man könnte beispielsweise ein verkürztes Verfahren und eine befristete Genehmigung einführen, indem man die Kostenerstattung als dringlich einstuft und mit einer Studienpflicht verbindet.

Kassenchefs und G-BA-Vorsitzende sollten mal einen Moment in sich gehen. Es ist immer schlecht, wenn der Chef, die Arbeit seiner Angestellten macht. Am Ende könnte eine Reform der behäbigen und teuren Selbstverwaltungsstrukturen stehen. Dann ist das Entsetzen der Funktionäre groß. Zu seinem Amtsantritt kündigte der Bundesgesundheitsminister an: Er sei ein Fan einer funktionierenden Selbstverwaltung. Die Betonung lag auf funktionierende.

Wie erleben Sie die Arbeit Ihrer Krankenkasse? Kümmert sich Ihre Kasse um Ihre gesundheitlichen Probleme, oder kämpfen Sie gegen Windmühlenflügel? Berichten Sie mir von Ihren Erfahrungen.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.