G-BA / Trisomie-Test

Lebensschützer verdrehen die Fakten!

Kennen Sie Natalie Dedreux? Nein? Das könnte sich bald ändern. Die junge Frau ist Aktivistin, sozusagen eine Greta Thunberg, die sich für die Rechte von Menschen mit Trisomie einsetzt. Sie hat selbst das Down-Syndrom und will nicht, dass ein molekulargenetischer Bluttest, künftig von den Kassen bezahlt wird. Der Test soll Schwangeren ab der 11. Schwangerschaftswoche anzeigen, ob sie ein Kind mit Trisomie austragen. Schon 14.000 (Stand 10. April 2019) Unterschriften hat Natalie Dedreux auf change.org gesammelt.

Erst einmal finde ich es klasse, dass sich Natalie Dedreux einmischt! Die Gesundheitsversorgung geht uns alle an. Deswegen schreibe ich auch diesen Blog. Wir sollten das, was in unserem Gesundheitssystem passiert, nicht nur den Experten – also dem Gemeinsamen Bundesausschuss in dem Ärzte, Krankenhausvertreter und Kassen sitzen – überlassen.

Der Trisomie-Bluttest wird aktuell ähnlich kontrovers diskutiert wie unlängst das Werbeverbot zum Schwangerschaftsabbruch. Deswegen hat es der Bundestag auch auf seine Tagesordnung gesetzt: In einer sogenannten Orientierungsdebatte wollen die Abgeordneten das Für und Wider des Testes als Kassenleistung debattieren. Die Debatte ist wichtig, keine Frage.

Die Gegner des Tests aber übertreiben maßlos, zeichnen Horrorszenarien. In der Konsequenz glauben sie, könnte es keine Menschen mehr mit Trisomie geben, weil die Schwangeren, bei denen der Test ein positives Ergebnis – also die Genveränderung – anzeigt, sich aufgrund des gesellschaftlichen Drucks genötigt fühlen könnten, das Kind dann nicht mehr weiter auszutragen. Das Leben von Menschen mit Beeinträchtigung sei in unserer Gesellschaft dann nicht mehr erwünscht. Gegen dieses Gesellschaftsbild sprechen gleich mehrere Gründe. Fangen wir aber erst einmal mit den formalen Gründen und den Fakten an, die der Einführung des Tests als Kassenleistung zugrunde liegen.

Dem Gemeinsamen Bundesausschuss, der die Aufnahme des Tests in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung beschließt, kann man vieles vorwerfen, aber sicherlich nicht eine unzureichende und sorglose Prüfung neuer medizinischer Methoden.

Der Vorsitzende des Bundesausschusses, Prof. Josef Hecken, betont in einer Pressemitteilung, dass der im Medizinerdeutsch genannte nicht-invasive molekulargenetische Test (NIPT) nur „im Einzelfall“ bei Schwangerschaften mit besonderen Risiken oder zur Abklärung von Auffälligkeiten zum Einsatz kommen soll. Bezahlt wird der Test durch die Kassen nicht, nur weil die Schwangere beispielsweise ein höheres Alter als Entbindende und damit ein statistisch höheres Risiko für ein Kind mit Trisomie hat.
Der Gemeinsame Bundesausschuss prüft die Zulassung des Testes als Kassenleistung gerade weil dieser, die Risiken, die sogenannte invasive Verfahren mit sich bringen, wie die Biopsie der Plazenta oder einer Fruchtwasseruntersuchung, vermeidet.

Denn bei der Biopsie wie auch bei der Fruchtwasseruntersuchung findet immer ein Eingriff in den Mutterleib statt – mit erheblichen Risiken für das ungeborene Kind. Beide Methoden werden übrigens seit langem praktiziert und haben nachweislich nicht dazu geführt, dass keine Kinder mit Trisomie mehr geboren werden.

Wenn die Gegner des Testes also behaupten, dass das werdende Leben durch den Test bedroht wird, ist gerade das Gegenteil der Fall. Der Test ist dazu da, das werdende Leben im Mutterleib bestmöglich zu schützen – so gut, wie es derzeit nach dem wissenschaftlichen medizinischen Stand heute möglich ist. Ein positives Testergebnis stellt darüber hinaus keine Ultima Ratio dar. Der Test ist ein Test und wird so auch gewertet. Eine Diagnose erfolgt erst nach einer invasiven Abklärungsdiagnostik mit angeschlossener qualifizierter Beratung für die Schwangere und werdenden Eltern. Die Beratung schließt auch die positiven Erfahrungen von Eltern mit Kindern, die ein Down-Syndrom haben, mit ein. Soviel zu den Fakten.

Meine persönliche Meinung ist, dass nur die werdenden Eltern für sich entscheiden können, ob sie mit einem Kind mit Beeinträchtigung leben wollen, oder auch nicht. Diese Entscheidung ist so persönlich wie die Entscheidung für ein Leben mit oder ohne Kinder. Es zeugt von einem sehr misstrauischen Gesellschaftsbild, das Eltern, die den Test anwenden, sich ein Leben mit einem Kind mit Down-Syndrom nicht vorstellen können. Außerdem: Die Pille hat ja auch nicht dazu geführt, dass keine Kinder mehr geboren werden.
Und wer den Test will, wird ihn sich ohnehin kaufen.

Warum also Eltern, die Klarheit in einer medizinischen Ausnahmesituation benötigen, in unserem Gesundheitssystem benachteiligen? Was ist Ihre Meinung? Sollte der Test zu Abklärung eines möglichen Down-Syndrom bei Ungeborenen von der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden, oder nicht? Schreiben Sie mir Ihre Meinung zu diesem hochaktuellen Thema.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.