Corona / lockdown

Lockdown light – Wegsperren ist keine Lösung

Liebe Lautblog-Leserinnen und Leser,

im kalendarischen Trauermonat November geht Deutschland in einen landesweiten Lockdown light – schließt ein zweites Mal in diesem Jahr Restaurants, Bars, Kinos, Theater, Sportstätten und ja auch Bordelle, um nur einige der betroffenen Wirtschaftszweige zu nennen. Bund und Länder haben dieses Mal einstimmig entschieden, dass Infektionszahlen von mehr als 18.000 Neuansteckungen am Tag (Stand 30.10.2020) unser Gesundheitssystem nicht verkraften würde.

Im Vergleich zu anderen europäischen Staaten wie Frankreich, Belgien und Spanien ist es tatsächlich eine reduzierte Einschränkung des öffentlichen Lebens. Die Franzosen dürfen nur noch mit Passierschein auf die Straße und in Belgien werden auch Geschäfte geschlossen. Dennoch: Millionen Bundesbürger und Bundesbürgerinnen werden ihre Freiheiten in diesem Spätherbst trotzdem schmerzlich vermissen; seit nunmehr acht Monaten kennt die Welt kein anderes Thema mehr.

Ja, das Sars-CoV-2-Virus hat uns weltweit überfallen. Andererseits: Seit Jahren warnen Virologen vor einer Pandemie durch Zoonosen. Bei allem Respekt vor der Gefährlichkeit dieses Virus‘: Das Starren, wie das Karnickel auf die Schlange, bringt uns nicht weiter. Der Aktionismus der Politik und der mediale Hype um die Infektionszahlen sind nur begrenzt nachvollziehbar. Wichtige Fragen werden öffentlich nicht gestellt und nicht beantwortet.

Welche Rezepte haben andere Länder erfolgreich gegen Corona angewendet? Was sind die harten Erfahrungen und Forschungsergebnisse der letzten Monate? Wie messen wir die drohende Überlastung unseres Gesundheitswesens?

Es gibt keine differenzierte Betrachtung und auch keine Betrachtung / Auswertung der Folgen des ersten lockdown – welche Kollateralschäden hat es gegeben. Stattdessen mitunter fragliche Aktionen wie die unseres Bundesgesundheitsministers Jens Spahn, der in den Sommermonaten jeden Urlauber aus dem Ausland dazu aufforderte, sich testen zu lassen. Mit begrenzten Ressourcen sinnvoll und verantwortungsvoll umgehen lautet das Motto aus der Fachwelt und nunmehr auch der Politik.

Jeder Berater, jeder Beraterin, gleich welcher Branche und Profession, weiß, am Anfang steht die Analyse, die Bestandsaufnahme einer Situation, einer Ausgangslage. Bezogen auf Deutschland und das Corona-Virus heißt das: Es gibt keine Sicherheit! Wegsperren ist keine Lösung. Mit dem Virus leben lernen schon eher. Es wird nicht gelingen das Virus in wenigen Monaten zu besiegen. Wenn überhaupt, wird es Jahre oder Jahrzehnte dauern. Selbst die Wirksamkeit eines Impfstoffs gegen ein ständig mutierendes Visus mit mehr als 50 Ausprägungen bleibt abzuwarten.

Aktuell müssen rund fünf Prozent der Menschen, die sich mit dem Virus angesteckt haben, in ein Krankenhaus. Im Umkehrschluss: 95 Prozent von ihnen durchleiden Covid-19 mit mehr oder weniger schweren Symptomen zu Hause. Müssten wir dann nicht mehr den Blick auf die Risikogruppen richten? Die, die keinesfalls daran erkranken dürfen: Multimorbide, Alte und Hochaltrige. Andere Länder machen es uns vor: Extra-Ladenzeiten für Risikogruppen. Welche weiteren Möglichkeiten gibt es? Tägliche Mundspülungen? Wie sieht es mit dem Lüften aus? Sind hohe oder niedrige Raumtemperaturen, feuchte oder trockene Luft besser? Welche Nebenwirkungen und Risiken haben solche Maßnahmen? In welchem Verhältnis stehen Nutzen und Risiko? Wer trägt z.B. beim Zwangslüften in den Klassenräumen die Verantwortung, wenn die Kinder dadurch ernsthaft krank werden?
Wir wissen aktuell noch sehr wenig.

Verstörend finde ich die soziale Einfallslosigkeit mit dem Virus umzugehen.

Haben wir Konzepte, wie wir mit alleinlebenden Alten umgehen oder mit Senioren in Altenheimen? Wie lassen sich Kontakte und Nähe möglichst ohne Risiken gestalten? Eine dauerhafte Isolation je nach Infektionslage kann nicht die Antwort sein. Wir müssen unbedingt auch die gesellschaftlichen Kollateralschäden im Auge behalten. Bereits jetzt steigt die Zahl der psychischen Erkrankungen an –und das Ausgangsniveau dafür war schon hoch. Die Psychiater und Psychotherapeuten sind die einzige Facharztgruppe bei denen die Patientenzahlen in dieser Coronazeit nicht eingebrochen sind. Die Menschen suchen und brauchen Hilfe, Halt und Optionen.

Was ist Ihre Meinung? Tun wir das Richtige in dieser Covid-19-Krise? Welche Erfahrungen haben Sie in dieser Zeit gemacht? Schreiben Sie mir? Nur gemeinsam können wir es schaffen.
Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.