Gesundheitssystem / Neuorganisation / Strukturreform

Neugestaltung stationärer Versorgungsstrukturen

Das Deutsche Ärzteblatt hat in seiner Ausgabe 29-30/220 unter anderem vier Gesundheitsökonomen gefragt, wie die stationäre Versorgung in Deutschland neu gestaltet werden soll (Boris Augurzky, Reinhard Busse, Jonas Schreyögg Stephanie Stock) (http://daebl.de/LE31)

Die Antworten auf die folgenden Fragen erstaunen nicht, ist das doch die bekannte Haltung, die uns auch die politischen Entscheidungen beschert. Die Fragen würde ich wie folgt beantworten:

War die Bewältigung der Coronapandemie in Deutschland so erfolgreich, weil Deutschland so viele Krankenhausbetten hat?

Bevor die Politik reagiert hat, haben die Verantwortlichen in den Regionen und dazu zählten vor allem die Kliniken die richtigen Maßnahmen ergriffen. Krisenstäbe wurden eingerichtet und die Versorgungsprozesse geplant und umgesetzt. Den Höhepunkt der Pandemie im März/April gab es nur die Berichte vom dem Management und den ärztlichen Kollegen der Kliniken in Italien.

Hätten wir keine dezentrale Klinikversorgung gehabt, wäre es deutlich dramatischer abgelaufen. Die Berichte aus den stark betroffenen Kliniken zeigen, dass es dort teilweise eng war und wir einen dramatischen Patiententourismus erlebt hätten. Nicht zu vergessen, dass viele andere Kranke nicht adäquat hätten behandelt werden können. Schon jetzt gibt es Hinweise, dass die Übersterblichkeit im März /April auch durch zu spät oder nicht behandelte Nicht-Corona Fälle verursacht ist.

Welche Erkenntnisse haben sie persönlich im Hinblick auf die Struktur der deutschen Krankenhauslandschaft aus der Corona Pandemie gezogen?

Wir können uns glücklich schätzen, dass wir so viele kompetente, engagierte und bis zur Erschöpfung arbeitende Mitarbeiter in den Kliniken haben. Die Corona-Erfahrung hat gezeigt, dass wir regionale Kompetenz und Erfahrung brauchen, um solche Situationen zu bewältigen. Die Entscheidungsträger vor Ort konnten nicht warten und nach oben schauen, sondern mussten nach bestem Wissen entscheiden. Das spricht sehr dafür die Kompetenzen dezentral in den Regionen zu stärken und vor allem sektorübergreifend zu arbeiten. Die Sektorentrennung muss zu Gunsten einer Gesamtprozessverantwortung und Patientenorientierung fallen. Die wissenschaftlich-theoretischen Konzepte der Patienten und Angehörigen Wanderung in Zentralkliniken sind durch Corona gestorben. Ein Radius von 30-50 km muss für stationäre Einrichtungen gehalten werden.

Wie sollte die Krankenhauslandschaft in den kommenden Jahren umgestaltet werden?

Ein gestuftes stationäres Versorgungssystem mit zentraler Expertise, aber auch dezentraler Kompetenz. Das heißt keine unpersönlichen, zentrale Bettenburgen oder alleinigen Kompetenzträger sondern ein abgestuftes System, in dem auch dezentral gute Medizin gemacht werden kann. Mindestmengen für sehr besondere Leistungen. Vor allem aber müssen der Wettbewerb und die Anreizstrukturen verschwinden. Ein guter Arzt stellt die Patienteninteressen in den Vordergrund. Es kann nicht sein, dass ambulant und stationär definierte Fallzahlen oder die Fallschwere notwendig sind um das Krankenhaus zu erhalten. Es muss ein gesundheitspolitisches Versorgungskonzept her, was ausgewogen Patientenwohl, Wirtschaftlichkeit und die regionale Versorgung – ohne abgekapselte Sektoren – sichert. In der Pandemie haben Krankenhäuser vielfach gut zusammengearbeitet.

Wie kann ein solche Kooperation für die Zukunft fortgesetzt werden? 

Das geht zum Teil über eine gute Planung, vor allem aber über ein System, welches Zusammenarbeit belohnt und nicht bestraft. Kooperationen müssen dem Patienten nutzen und dürfen nicht über das Wohl und Wehe (im Sinne des wirtschaftlichen Überlebens) entscheiden. Im Sinne der Patienten kooperieren verantwortungsvolle Ärzte schon seit Jahrzehnten (Verlegung, Konsile etc). Strukturelle Kooperationen scheitern, solange es wie im Raubtierkapitalismus um gewinnen oder verlieren geht, also marktwirtschaftliche Mechanismen führen.

Welche Lehren kann man aus der Coronapandemie hinsichtlich der Krankenhausfinanzierung ziehen?

Die politische Angst vor vielen Bildern toter Menschen haben einen ungesteuerten Geldregen zur Bekämpfung der Pandemie ausgelöst. In der Situation musste reagiert werden, weil wir seit Jahrzehnten keine Krisenbewältigungsstrategie haben. In den Städten und Regionen wurde entschieden und gehandelt. Das war das Erfolgsmodell der akuten Krise. Für die Zukunft heißt das eben nicht alles nach Berlin, in die Landeshauptstädte oder an die Krankenkassen zu geben, sondern eng mit den Verantwortlichen Vor-Ort Gesundheit zu gestalten und zu planen. Die regionalen Unterschiede im Lohnniveau, beim Fachkräftemangel ambulant, stationär, in den Nachsorge, in der Vernetzung der Rettungsdienst lassen sich passgenau nur regional organisieren. Ein bundesweiter Rahmen der durch die Länder und Landkreise mit Leben gefüllt wird, kann der Weg werden. Leistungs- und Kostenträger (eine gesetzliche Kasse pro Bundesland) tragen gemeinsam mit der Politik die Verantwortung und steuern die Finanzmittel.

Ich bin gespannt auf Ihre Meinung. Schreiben Sie mir!

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.