Pflege / Pflegenotstand

Pflegenotstand – eine politisch hausgemachte Lage!

Liebe (r) Lautblog-Leser*in! Stellen Sie sich vor, Sie müssen ins Krankenhaus – und Sie werden abgewiesen. Ein schlechter Scherz? Ein überspitztes Szenario aus einer Science-Fiction-Roman? Nein, leider nicht, sondern inzwischen Versorgungsrealität in einem der besten Gesundheitssysteme der Welt.

Deutschlandweit müssen immer mehr Krankenhäuser Betten sperren, oder gar ganze Stationen schließen, weil nicht mehr ausreichend Pflegekräfte für die Arbeit am Krankenbett zur Verfügung stehen. Besonders betroffen ist Niedersachsen: Jedes dritte Krankenhaus musste bereits eine dieser Maßnahmen ergreifen – die renommierte Medizinische Hochschule Hannover eingeschlossen. Aber auch im „Ländle“, in Baden-Württemberg, sind Stationsschließungen und die Sperrung von beispielsweise Intensivbetten oft der einzige Ausweg dem Fachkräftemangel zu begegnen. Für die Patienten heißt das, weitere Wege in Kauf zu nehmen, oder geplante Eingriffe mit zeitlicher Verzögerung versorgt zu bekommen.

Wie man es auch dreht und wendet: Es fehlen Pflegekräfte in der medizinischen Versorgung und die, die noch da sind, sind so wertvoll wie Goldstaub und müssen bei Kräften und Laune gehalten werden. Ein aktuelles Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts hat jüngst errechnet, dass bei einer Fortschreibung des Trends bis 2030 ca. 187.000 (!) Pflegekräfte gebraucht würden. Auf den Krankenhausbereich kämen demnach 63.000 Vollzeit-Pflegekräfte. Im ambulanten Sektor sieht es noch weit dramatischer aus: Sie benötigen einen Aufwuchs bis 2030 um 49 Prozent. Und das alles vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft, die zunehmend auf Unterstützung und Pflege angewiesen sein wird.


Pflegekräften fehlte es lange Zeit an Wertschätzung

Zur Wahrheit gehört aber auch: Das Problem ist zumindest in Teilen hausgemacht. Über Jahre haben wir die Berufsgruppe der Pflegenden überbeansprucht. Leistungsverdichtung und ja, haben wir es mitunter auch an Wertschätzung fehlen lassen.
Die Verantwortung für diese desaströse Situation trägt auch die Bundespolitik!
Mit den politisch gesetzten Rahmenbedingungen wurden die Pflegdienste, Altenheime und Kliniken durch Erhöhung der Arbeitsdichte und minutengenaue Dokumentation zur Durchführung des Allernotwendigsten gezwungen. Wer mehr Zeit bei seinem Pflegenden verbachte und dem Alten oder Kranken Zuwendung entgegenbringt wird durch das System bestraft.

Eine wirtschaftliche Betriebsführung ist fast nur auf Kosten der Mitarbeiter zu bewerkstelligen. Das trifft nicht auf alle Arbeitgeber zu, aber ein nicht unwesentlicher Teil hat die Pflegenden „unter ferner liefen“ behandelt. Das rächt sich jetzt: Die Jüngeren sind anspruchsvoll in der Gestaltung ihrer Lebens- und Arbeitszeit, lassen sich schlicht nicht mehr so viel bieten. Die älteren Pflegekräfte sind ausgebrannt und streben daher Teilzeitbeschäftigung an.

Jetzt, wo die Probleme offensichtlich geworden sind, überschlägt sich die Politik mit Lösungsansätzen wie beispielweise, der Konzertierten Aktion Pflege (siehe hierzu auch meinen Blogbeitrag „Mehr Knete für die Pflege -jetzt“), die für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Pflege steht. Bundesgesundheitsminister Spahn hat in diesem Sommer jetzt einen Mindestlohn in der Pflege von 14 Euro in der Stunde gefordert. Ob und wann diese Maßnahmen greifen bleibt völlig ungewiss.
Es werden also neue Pflaster verteilt, um die aufbrechenden Wunden eines überholten Gesundheitssystems zu verdecken. Niemand stellt sich die Frage nach einer strategischen Neuausrichtung in unserem Gesundheitswesen. Was brauchen die Menschen in den Regionen? Welche Instrumente unterstützen? Wo müssen die Aufgaben und Verantwortung neu sortiert werden?

Die heutigen Selbstverwaltungsstrukturen sind nicht zukunftsfähig! Das Gesundheitswesen steht an vielen Stellen vor dem Kollaps, z.B. durch den Personalmangel. Also müssen sich auch die Instrumente verändern. Wir müssen weg von der politischen Denke wir könnten die Probleme mit Geld lösen. Dieser Zug ist längst abgefahren.

Personaluntergrenzen verschärfen die Versorgungslage drastisch

Fakt ist auch: Die Politik hat durch eine Verordnung zur Festlegung von Personaluntergrenzen in der Pflege für die Unfallchirurgie, Kardiologie, Geriatrie und Intensivmedizin maßgeblich dazu beigetragen, dass sich viele Krankenhäuser heute abmelden müssen, weil ihnen die Personalhoheit durch den Gesetzgeber entzogen wurde. In der aktuellen Gemengelage war das vielleicht gut gemeint, aber nicht gut gemacht. In einer Situation, wo Krankenhäuser überhaupt Schwierigkeiten haben, Pflegekräfte zu bekommen, legt Gesundheitsminister Jens Spahn fest, wie viele Pflegende pro Station und Monat in den vorstehend genannten medizinischen Disziplinen arbeiten müssen.

Ich spiele den Ball einmal zurück: Müssten die Länder nicht ihre Hausaufgaben machen und eine intersektorale Planung entwerfen, die festlegt, welche Strukturen wir in unserem Gesundheitssystem brauchen? Angefangen vom ambulanten über den stationären Sektor bis hin zur Reha und Pflege. Dann würden sich die immer wenig werdenden Pflegekräfte nicht auf zu viele Einrichtungen verteilen, die heute unter einem desaströsen Wettbewerb versuchen sich die Fachkräfte abzujagen.

Die Sorgen und Nöte der Menschen können der Politik nur über öffentlichen und medialen Druck vermittelt werden. Die Menschen müssen dazu für eine neue Gesundheitsversorgung auf die Straße gehen!

Was ist ihre Meinung? Wie gelingt uns eine Wende in dem derzeit kritischen Fachkräftemangel in der Gesundheitsversorgung Deutschlands? Diskutieren Sie mit! Ich freue mich auf Ihre Kommentare.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

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„Mehr Knete für die Pflege – jetzt!“

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.