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Qualitätsdefizite im Bereitschaftsdienst

Statistisch gesehen „landet“ fast jeder 4. Deutsche einmal im Jahr in einer Notaufnahme im Krankenhaus – knapp 20 Millionen Hilfesuchende. Weit mehr als 50 Prozent dieser Patienten gehören nach Expertenmeinung nicht in eine stationäre Versorgung: Sie müssten eigentlich durch den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst versorgt werden. Doch hier hapert es gewaltig.

Es fängt damit an, dass die „116117“ – die Rufnummer für die ambulante Notfallversorgung – keiner kennt. Die Menschen rufen meist die „112“ – den Rettungsdienst – und werden dann auch in der Regel in eine Notfallaufnahme eines Krankenhauses gebracht, oder sie setzen sich einfach selbst in die Rettungsstelle. Die Bilder kennen wir inzwischen alle: Übervolle Wartebereiche in den Krankenhäusern mit zum Teil irrsinnig langen Wartezeiten. Dabei sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) durch Paragraph 75, Sozialgesetzbuch V, verpflichtet, die vertragsärztliche Versorgung sicherzustellen – auch außerhalb der Sprechzeiten in Form von Bereitschafts-diensten. Nun, das klappt mal mehr, mal weniger gut.

Ein zentrales Problem des vertragsärztlichen Bereitschaftsdienstes ist die Besetzung der Notdienste. Die Kassenärztlichen Vereinigungen verfügen nicht über ausreichend fachlich qualifizierte Ärzte im Bereitschaftsdienst.

Das führt unter anderem dazu, dass im KV-Notdienst ein Augenarzt oder HNO-Arzt mit einem allgemeinärztlichen oder auch gynäkologischen Problem konfrontiert wird und dann den oder die Patient(in) in doch lieber umgehend in die Notfallversorgung und damit ins Krankenhaus weiterleitet, weil er mit diesen Patienten keine Erfahrung hat. Mitunter werden die Lücken im Bereitschaftsdienst auch durch Krankenhausärzte gestopft, die sich etwas hinzuverdienen wollen – auch das ein Indiz, dass es nicht genügend Vertragsärzte im Bereitschaftsdienst gibt. Für die Kliniken wiederum ist problematisch: Sie wissen mitunter gar nicht, welche Dienste die Ärzte noch nebenher machen und das steht unter Umständen im Widerspruch zu den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes. Nicht nur das, es kann auch die Patientensicherheit gefährden.

Fakt ist, dass der KV-ärztliche Bereitschaftsdienst an vielen Stellen nicht das leistet, was die Patienten erwarten dürfen. Dies liegt unter anderem auch an, um es vorsichtig auszudrücken, fragmentierten Sprechzeiten, die mit der modernen Arbeitswelt vieler Versicherter nur noch wenig zu tun haben. Der Zugang in eine Rettungsstelle im Krankenhaus ist für die Patienten im Zweifel schlicht einfacher zu erlangen. Daran ändern auch inzwischen an die 650 sogenannte KV-Bereitschaftspraxen an oder in Krankenhäusern nur wenig.

Das System unserer Notfallversorgung läuft heiß. Das hat inzwischen auch die Politik erkannt. Die Koalitionsparteien haben angekündigt die Notfallversorgung 2019 reformieren zu wollen. Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenhäuser sollen künftig gemeinsam in sogenannten Integrierten Notfallzentren die Patienten behandeln – an einem Tresen in zwei unterschiedliche Versorgungssektoren steuern, entweder in die ambulante oder in die stationäre Versorgungsschiene. Ausgebildetes Fachpersonal soll die Steuerung übernehmen. Noch ist dies Zukunftsmusik und es wird heute schon heftig darum gestritten, wer die „Hoheit“ am Empfangstresen übernimmt: Die Kassenärztliche Vereinigung oder das Krankenhaus.

Mitunter werden die Lücken im Bereitschaftsdienst auch durch Krankenhausärzte gestopft, die sich etwas hinzuverdienen wollen –   auch das ein Indiz, dass es nicht genügend Vertragsärzte im Bereitschaftsdienst gibt.

Doch dieser Streit zeigt exemplarisch den Systemfehler in unserem Gesundheitswesen: Anstelle einer Zusammen-arbeit findet die medizinischen Versorgung streng abgeschottet voneinander entweder im ambulanten oder stationären Sektor statt. Warum brauchen wir diese harte Trennung zwischen ambulanten und stationären Fach-ärzten? Im Sinne einer verbesserten Patientenversorgung macht es Sinn, die ambulante und stationäre Versorgung zu verbinden und die Rosinenpickerei zu beenden. Allein schon aufgrund des dramatischen Personalmangels werden wir in Zukunft um eine gemeinsame geleistete Sicherstellung der Versorgung nicht herumkommen.

Schauen wir in andere Länder: Dort sind Fachärzte am Krankenhaus angestellt und arbeiten gleichzeitig ambulant. Ein solches Modell ließe sich wunderbar auch für Deutschland modifizieren und umsetzen. Jeder Facharzt, ganz gleich, ob er heute im Krankenhaus oder ambulant tätig ist, arbeitet entsprechend des jeweiligen Bedarfs ambulant und stationär. Alle absolvieren die notwendigen Dienste und sichern damit ganzjährig Tag und Nacht die Versorgung. Damit einher geht eine Reduzierung der Dienstbelastung für alle Beteiligten, das wiederum sichert die Versorgung und erhält langfristig die Freude am ärztlichen Beruf.

Bei allen Interessen der ärztlichen Selbstverwaltung ist doch die Politik gefordert, die Versorgung der Menschen in diesem Land sicherzustellen. Nur eine für die Menschen funktionierende Notfallversorgung, die ihren Namen auch verdient, schafft Vertrauen in unser System und bietet Sicherheit in der Not.

Welche Erfahrungen haben Sie mit dem ärztlichen Bereitschaftsdienst gemacht? Oder gehen Sie auch direkt ins Krankenhaus? Ich freue mich über Ihre Erfahrungsberichte.

Ihr,

 

Hans-Peter Schlaudt

 

 

 

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.