Psychotherapie

Seelisch krank – und kein freier Psychotherapeutentermin

Haben Sie einmal in jüngerer Vergangenheit versucht, für sich oder auch einen Angehörigen, einen Termin bei einem Psychotherapeuten zu bekommen?? Hoffentlich hatten Sie Glück!

Denn die meisten Patienten warten durchschnittlich 20 Wochen (!) von der ersten Anfrage bis zum ersten Behandlungstermin. So kann medizinische Versorgung im 21. Jahrhundert auch aussehen!

Dass es heutzutage mehr seelische Erkrankungen und Krisen gibt, ist allgemein bekannt. Die Kassen berichten regelmäßig über die Zunahme von Depressionen, chronischen Erschöpfungszuständen und Angstzuständen ihrer Versicherten. Unsere schnelllebige Zeit, hoher Leistungsdruck und ständige Erreichbarkeit fordern ihren Tribut. Gesellschaftliche Schutzräume wie beispielsweise die Angebote der Kirchen nehmen an Akzeptanz ab – den Psychotherapeuten wird die Arbeit nicht so schnell die Arbeit ausgehen.

Auch weil es zu wenige von ihnen gibt. 27.000 kassenärztlich zugelassenen Psychotherapeuten stehen allein geschätzt drei Millionen an Depressionen leidenden Menschen zur Verfügung. Andere seelische Leiden, die in die psychotherapeutischen Praxen drängen, sind da noch gar nicht mitgezählt.

Wir erleben derzeit nichts Geringeres als einen Notstand in der psychotherapeutischen und psychiatrischen Versorgung in Deutschland. Der Aufschrei bleibt aus. Auch weil den Betroffenen meist die Kraft und der Antrieb fehlt.

In dieser für viele Menschen belastenden Versorgungssituation präsentiert sich der 122. Deutsche Ärztetag mit einer berufsständischen Position, die eigentlich nur nachdenklich, oder auch traurig macht. Der scheidende Präsident der Bundesärztekammer Prof. Ulrich Montgomery wirft Gesundheitsminister Jens Spahn eine Entwertung seines Berufsstandes vor. Warum? Weil Jens Spahn die Psychotherapeutenausbildung reformieren will. Bislang konnten Ärzte mit einer Zusatzausbildung psychotherapeutisch tätig werden, oder Psychologen. Letztere durften aber beispielsweise keine Medikamente verschreiben.

Spahn plant nun einen eigenen Studiengang für Psychotherapeuten. Montgomery ärgert das. Psychotherapie sei etwas zutiefst Ärztliches und solle deswegen nicht aus der Arzttätigkeit herausgelöst werden. Nun, das ist unverhohlen vordergründig argumentiert. Geht es doch eher darum, dass Ärzten mit Zusatzqualifikation in Psychotherapie die Patienten abhanden kommen könnten. Wo bleibt hier der Patient in seinen Nöten und seiner Schutzbedürftigkeit?

Diese Furcht so unverhohlen zur Schau zu tragen, sollte eigentlich nicht mehr zum Instrumentenkasten so mächtiger Funktionäre wie dem Präsidenten der Bundesärztekammer gehören. Die Bundesärztekammer als Spitzenorganisation der Ärzte sollte auch immer die Interessen der Patienten in den Blick nehmen: Und diese wünschen sich einen Psychotherapeuten, wenn es ihnen schlecht geht. Eine zeitnahe und kompetente Versorgung möglichst nicht nur in Ballungsräumen. Eine eigenständige Psychotherapeutenausbildung ist ein Baustein dafür. Ein anderer ist, die Bedarfsplanung für diese Berufsgruppe anzugehen

Seelische Nöte der Menschen dem Wohl des eigenen Berufsstandes zu unterordnen ist keine kluge Politik. Funktionärsgehabe a lá Montgomery gehört deswegen der Vergangenheit an. Dem oder der Nachfolger/in bleibt ausreichend Spielraum sich in Patientenorientierung zu profilieren.

Wie beurteilen Sie die psychotherapeutische Versorgung? Haben Sie gute oder schlechte Erfahrungen gemacht? Schreiben Sie mir! Ich bin gespannt auf Ihre Erfahrungen.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

 

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.