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Terminservice und Versorgungsgesetz – ein „Blendergesetz“

Die Arztpraxen in Deutschland sind voll – übervoll. Ein ganzes Bündel an Gründen kommt hier zusammen: Zum einen sind die Praxen deutschlandweit ungleich verteilt, zum anderen gehen die Deutschen einfach öfter zum Arzt als beispielsweise unsere europäische Nachbarn, aber auch die zunehmende Überalterung in unserer Gesellschaft macht sich in den Wartezimmern zunehmend bemerkbar.

Was tun? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will mit 700 Millionen Euro die Sprechstunden für Kassenpatienten von 20 auf 25 Stunden in der Woche ausweiten. Es gibt also mehr Geld, wenn Ärzte neue Patienten aufnehmen – eine super Idee! Jeder Arzt hat nun den Anreiz zusätzliche Patienten anzunehmen. Doch ein Arzt der neue Patienten aufnimmt, wird „alte“ verabschieden müssen. Denn die meisten Arztpraxen sind ausgelastet und können schlicht nicht mehr Patienten betreuen. Patienten können sich also darauf einstellen, zwei Ärzte oder gar mehr zu suchen. Dann können sie jedes Quartal einen anderen Arzt aufsuchen, der erhält mehr Honorar und hat damit ein Interesse an jedem zusätzlichen Patientenbesuch. Die Zahl der Arztkontakte wird so weiter steigen, die Systemkosten sicher auch.

Am Grundproblem, dem Mangel an Ärzten und Fachpersonal, ändert das TSVG nichts. Hier aber liegt das Grundübel. Wir bilden mehr Ärzte denn je aus, aber es kommen immer weniger in den Praxen und Kliniken an. An der Vergütung des Arztberufes kann es nicht liegen, aber an vielen Stellen ist der Beruf überaus anspruchsvoll und heute immer noch schwer mit den vielfältigen Familien- und Lebensmodellen vereinbar. Vielleicht sind es auch die überbordenden Verwaltungsaufgaben und der allgemeine deutsche Regelungswahn, den junge Menschen scheuen. Alternative Arbeitsplätze für junge Ärzte gibt es genug.

Das Terminservice und Versorgungsgesetz (TSVG) ist ein Blendergesetz, weil es politischen Aktionismus vorschützt: Den Bürgern soll eine starke politische Botschaft des „Ich packe das an“ signalisiert werden. Wenn es jedoch ein wichtiges versorgungspolitisches Thema wäre, würde es im Hinterzimmer des gemeinsamen Bundesauschuss (G-BA) der Selbstverwaltung verhandelt.

Das TSVG regelt auch noch die „gestufte und gesteuerte Versorgung der psychotherapeutischen Behandlung“. Bei knappen Ressourcen macht es sicher Sinn zu priorisieren, denn auch absehbar wird es nicht unbedingt mehr Psychotherapeuten geben. Eine Ersteinschätzung darf und kann aber nur durch einen qualifizierten Psychotherapeuten oder einen entsprechend weitergebildeten Arzt erfolgen. Auch eine standardisierte Erstanalyse ist versorgungspolitisch zu begrüßen, allerdings muss es dem Psychotherapeuten obliegen in seinem Patientenklientel eine Priorisierung vorzunehmen und gegebenenfalls dringlich behandlungsbedürftige Patienten einem Kollegen zuzuführen. Doch bereits jetzt ist absehbar: zusätzliche Arzttermine für Voranalyse werden zu einer Steigerung der Arzt-Patientenkontakte führen und konterkarieren somit das Ziel von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, die Wartezeiten auf Termine zu reduzieren.

Wie erleben Sie Ihre ambulante Versorgung? Bekommen Sie rasch einen Termin bei Ihrem Arzt? Wie viel Zeit bringen Sie im Wartezimmer zu?

Ich bin gespannt auf Ihre Schilderungen.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.