Gesundheitspolitik / Jens Spahn

Viele Fleißkärtchen, aber kein Klassenprimus

Liebe Laut-Blog-Leserinnen und Leser,

der jahrespolitische Rückblick ist ein beliebtes Format in vielen Medien. Wir leben heute in einer schnelllebigen Zeit, so dass eine kurze Zusammenfassung ganz hilfreich ist, das Erlebte zu reflektieren und sich wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren. Über eine Reihe wichtiger Themen habe ich in diesem Jahr gebloggt – doch was ist geschafft, wie geht’s im nächsten Jahr weiter, was brauchen wir für eine patientenorientierte, zukunftsfähige und bezahlbare Gesundheitsversorgung im nächsten Jahrzehnt? Irgendwie ist’s ein bisschen wie im Fußball: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel.

Drei große Arbeitsfelder hat sich Jens Spahn zu Beginn seiner Amtszeit vorgenommen: Die Strukturen der Krankenhauslandschaft zu reformieren, die Digitalisierung auf den Weg zu bringen und die Pflege zu stärken.

Fangen wir bei der Pflege an. Hier ist Jens Spahn sofort in die Offensive gegangen: Er hat ein Pflegestellenförderprogramm aufgelegt – 13.000 zusätzliche neue Stellen sollten damit geschaffen werden, in der Kranken- wie auch in der Altenpflege. Um die Arbeitsverdichtung für die Pflegekräfte abzubauen und damit die Patientensicherheit zu stärken, hat Spahn seit Anfang dieses Jahres Personaluntergrenzen für die Geriatrie, Unfallchirurgie, Intensivmedizin und die Kardiologie eingeführt. Und sein riskantester Schachzug: Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz wurde die Herauslösung der Personalkosten aus den DRG auf den Weg gebracht. Letztere Maßnahmen halten viele Experten für eine Demontage des seit 2003 implementierten Krankenhausfinanzierungssystems und einer Rückkehr zum alten, unwirtschaftlichen Selbstkostendeckungsprinzips.

Auf einer der größten gesundheitspolitischen Baustellen – der Pflege – hat Spahn schweres Gerät aufgefahren. Doch nutzt es etwas? Was das Pflegestellenförderprogramm betrifft, so bleibt festzustellen: Gesetze schaffen keine Stellen! Der Markt ist leergefegt, da hilft auch keine Finanzspritze. Die Personaluntergrenzen führen dazu, dass mitunter Betten oder ganze Stationen geschlossen werden müssen, weil das vorhandene Pflegepersonal akut auf anderen Stationen eingesetzt werden muss. Und was die neue Berechnung der Pflegelohnkosten bringen wird, ist derzeit noch gar nicht absehbar. Nur eines ist sicher: Den Sozialgerichten und dem Medizinischen Dienst der Krankenkassen wird die Arbeit nicht so schnell ausgehen.

In Sachen Digitalisierung hat Spahn klar gemacht: Ein-weiter-so wird es nicht geben. Nachdem die Partner der Selbstverwaltung seit 15 Jahren die elektronische Gesundheitskarte (eGK), die elektronische Patientenakte (ePA) und den Ausbau der Telematikinfrastruktur effizient zu verhindern wussten, geht’s jetzt für alle Akteure ans Eingemachte.

Die eGK hat sich dabei, nach Meinung führender Fachleute, gar überholt. Kliniken und Apotheken aber sollen, nach dem Willen des Ministers, ebenfalls an die Telematikinfrastruktur angebunden werden. Niedergelassene Ärzte, die nicht bis März 2020 digital angeschlossen sind, droht ein Honorarabzug von 2,5 Prozent. Ob diese Strafandrohung ausreichen wird, wird man sehen. Dass es Spahn ernst meint mit der Digitalisierung zeigt sich am deutlichsten an der Entmachtung der Gematik – einem Zusammenschluss aus Partnern der Selbstverwaltung – die bislang die Digitalisierung vorantreiben sollte. Jetzt hält der Bund 51 Prozent der Anteile an der Gematik und Spahn hat einen neuen Geschäftsführer installiert, der sein Vertrauen genießt.

Doch Sorgfalt geht vor Schnelligkeit, besonders wenn es um sensible Versicherten- und Patientendaten geht. Zum Thema Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung fällt dem Minister nicht viel ein.

Das hehre Bekenntnis, dass die Versicherten- und Patientendaten bestmöglich geschützt werden sollen, hilft nur wenig. Es drängt sich der Eindruck auf, dass auch hier der Bürger als zu melkende Datenkuh interessanter ist, denn als informierter Bürger und Patient mit einem Recht darauf zu wissen, was mit seinen Daten geschieht, wo sie gespeichert und wie sie weiterverwendet werden.

In Sachen Strukturreformen der Krankenhauslandschaft ist Jens Spahn am wenigsten vorangekommen. Lesen Sie bitte auch hierzu meinen Blogbeitrag vom 5.12.2019 „Krankenhäuser im Würgegriff des Marktes“. Hier alle relevanten Akteure an einen Tisch zu bringen, einen Krankenhausgipfel zu initiieren, der eine intersektorale Versorgungsstruktur von morgen entwickelt, das, ja das würde für einen gesundheitspolitischen Glanzpunkt im Bundesgesundheitsministerium sorgen. Ich würde mir wünschen, dass sich Jens Spahn in der zweiten Halbzeit dieser Legislaturperiode darum kümmern würde. So ganz nebenbei würde er auch die Probleme in der Pflege lösen. Nämlich dann, wenn sich die Kräfte auf die Einrichtungen konzentrieren, die versorgungspolitisch auch Sinn machen.

„Er schafft eine ganze Menge weg“, so ein Ausspruch der Bundeskanzlerin Angela Merkel über Gesundheitsminister Jens Spahn. Genau 18 Gesetze in 18 Monaten haben seit Spahns Amtsanritt den Bundestag passiert. Was ist Ihre Meinung? Sind Sie mit der Performance von Jens Spahn zufrieden? Was sollte er in der restlichen Zeit der Legislaturperiode angehen?

Liebe Laut-Blog-Leserinnen und Leser, ich schreibe seit gut einem Jahr diesen Blog. Ich möchte mich bei Ihnen ganz herzlich bedanken, für Ihr Interesse, Ihre Kommentare und Anmerkungen. Viele von Ihnen bestätigen mich darin, diesen Blog weiter zu schreiben, weil Gesundheit zu wichtig ist, als dass wir sie der Politik und den Verbänden überlassen. Das freut mich sehr.

Schreiben Sie mir weiter! Ich freue mich auf Ihre Beiträge im Neuen Jahr.
Ich wünsche Ihnen einen guten Rutsch, bleiben Sie gesund und gesundheitspolitisch neugierig.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.