Ausschreibungsverbot / Hilfsmittel / Krankenkassen

Wenn die Windeln nicht halten, was sie versprechen.

Jeder von uns kennt das: Der Sparfuchs hat beim Einkauf die Oberhand gehabt, schwupp ist die Frischhaltefolie im Einkaufskorb gelandet, die die billigste war, aber leider auch die ohne Abreißleiste. Zu Hause fummelt man dann dafür eine viertel Stunde herum bis man das Stück Folie abgetrennt hat, wie man es braucht. Ist ja nur ein profaner Küchenartikel, was soll’s!

Ganz anders sieht’s aus in der Krankenversorgung. Wenn da die sogenannten Hilfsmittel, dabei handelt es sich beispielsweise um Rollatoren, Prothesen, Verbandsmittel, Kanülen, Zubehör für die Stoma-Versorgung bei künstlichen Blasen- und Darmausgänge oder auch Windeln, Qualitätsdefizite aufweisen, kann das für die Betroffenen mehr als unangenehme Folgen haben. Wie der Name schon sagt, Hilfsmittel sollen Patienten und Pflegebedürftigen helfen ihre Erkrankung oder auch Einschränkung zu meistern – die Menschen sind auf diese angewiesen.

Für viele Patienten in Deutschland, die Hilfsmittel tagtäglich benötigen, endet nun nach Jahren die Zeit, ja, man muss es leider so sagen, als Versuchskarnickel. Nachdem der Gesetzgeber den Kassen zunächst erlaubt hat, Hilfsmittel über Ausschreibungen für die Versicherten einzukaufen, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dieses Verfahren mit dem kürzlich verabschiedeten Terminservice-Gesetz nun wieder einkassiert. Das war überfällig. Viele Kassen, darunter so große wie die Barmer und die DAK haben schlicht das Dollarzeichen vor ihrem geistigen Auge gehabt und nicht das Wohlergehen ihrer Versicherten. Die Ausschreibungen waren stets so angelegt, dass das „günstigste“ Angebot zum Zuge kam. Selbsthilfegruppen und Patientenvertretungen liefen Sturm. Experten sprachen von Preisdumping in der Hilfsmittelbranche.

Barmer wie auch DAK hatten Stoma-, Inkontinenz und Beatmungsprodukte 2018 noch ausgeschrieben, obwohl diese Praxis bereits durch das Heil- und Hilfsmittelgesetz von 2017 unterbunden werden sollte.

Das Bundesversicherungsamt als Aufsichtsbehörde musste die Kassen zurückpfeifen, die dann aber vor’s Landessozialgericht zogen – und erst einmal weiter machten.
Was zeigt uns das? Die gesetzlichen Krankenkassen, die sich immer gerne als Unternehmen verstehen, ignorieren mit aller Macht die Bedürfnisse ihrer Versicherten – und damit ihrer Kunden. Die Preisexzesse bei den Hilfsmitteln waren nur möglich, weil alle Kassen diese Praxis mitgetragen haben und die sogenannten Kunden keine Alternative für einen Anbieterwechsel unter den Kassen hatten. Pech für den, der auf Hilfsmittel angewiesen war. Unternehmen, die so auf dem freien Markt agieren würden, wären schlicht weg vom Fenster.

Besonders bitter aber ist die Willkür bei der Erstattung von Leistungen. Da werden einerseits Patienten mit Inkontinenz mit billigsten Produkten abgespeist, andererseits zahlen zig gesetzliche Krankenkassen ihren Versicherten homöopathische Medikamente und Therapien bei Heilpraktikern, die erwiesenermaßen nicht dem heutigen wissenschaftlichen medizinischen Standard entsprechen und aus Mitteln der Versichertengemeinschaft gar nicht bezahlt werden dürften.

Es kann doch nicht sein, dass „Gewinnmaximierung“ oder die „Geiz ist geil“ Mentalität vor den Erfordernissen der Patienten steht. Denn es stimmt auch „wer billig kauft, kauft zweimal“. Das bedeutet nicht nur höher Kosten für mehr Produkte, ggf. geht es auch um zusätzliche Kosten für Pflegedienst, Arztbesuch oder Klinikaufenthalt.

Die gesetzlichen Krankenkassen sollten an Ihre Vision arbeiteten: 1. sind sie keine gewinnorientierten Unternehmen und 2. verwalten sie als Erfüllungsgehilfen der Bürger und Beitragszahler die Beiträge, aber 3. haben sie verdammt noch mal den Auftrag eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung zu finanzieren. Wenn sie Letzteres nicht wahrnehmen haben sie ihren Auftrag verfehlt und sind überflüssig.
Ob Deutschland für die Aufgabe eine Pseudo-Wettbewerbssituation mit mehr als 100 gesetzlichen Krankenkassen benötigt darf, darf bezweifelt werden.

Was sind Ihre Erfahrungen? Erhalten Sie als Versicherte(r) von Ihrer Kasse die Leistungen, die Sie brauchen? Oder müsste den Kassen stärker auf die Finger geschaut werden? Ich freue mich auf Ihre Posts.

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.