Digitalisierung / Jens Spahn

Zerschossener Datenschutz

Zu seinem Amtsantritt hat sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im März 2018 gleich mehrere – hohe – Ziele gesetzt: Beispielsweise strebte er eine Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft an. Sie kennen die Diskussion: zu viele kleine, zu viele wenig spezialisierte Krankenhäuser, insgesamt zu viele Krankenhausbetten in Deutschland… Mega-Thema, Erfolgsaussichten gleich Null. Ziel Nummer zwei: Eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, hier müssen an dieser Stelle ein paar Stichwörter genügen: Pflegestellensofortprogramm, Personaluntergrenzen in der Pflege und die Konzertierte Aktion Pflege – nur wenig mehr als Politikkosmetik: der eklatante Mangel an Pflegefachkräften wird so nicht behoben werden.

Ziel Nummer drei aber, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben, da geht gerade richtig was – die Corona-Pandemie erweist sich dabei als Trigger.

Jens Spahn will offensichtlich als DER Bundesgesundheitsminister in die Geschichte eingehen, der das träge, nur auf die jeweiligen Interessen der einzelnen Sektoren ausgerichtete Gesundheitssystem auf Vordermann bringt.

Vor ihm ist das noch keinem gelungen! Wenn das kein Antrieb für einen dynamischen Minister ist? Entsprechend hat Spahn eine Menge Maßnahmen auf den Weg gebracht und auch die dazugehörigen Junktims definiert, die der Selbstverwaltung jetzt so richtig Beine machen: So hat er die Gematik verstaatlicht, die App auf Rezept durch das Digitale-Versorgungsgesetz auf den Weg und eben auch das Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur auf den Weg gebracht – um nur ein paar Schlaglichter seine Digitalisierungsoffensive zu nennen.

Letzteres Gesetz ist deswegen so wichtig, um die datenschutzrechtlichen Regelungen für die elektronische Patientenakte – die ab 1.1.2021 eingeführt werden soll – festzulegen. Politikexperten wissen, dass umstrittene Gesetze gerne kurz vor der Sommerpause eingebracht und verabschiedet werden: so auch das Gesetz zum Schutz elektronischer Patientendaten in der Telematikinfrastruktur. Allein der Titel des Gesetzes ist auf Irreführung angelegt. Denn kritische Datenschutzjournalisten weisen darauf hin, dass die Rechte der Patienten auf informationelle Selbstbestimmung mit dem Gesetz regelrecht ausgehebelt werden – siehe hierzu auch https://www.heise.de/tp/features/ePA-Datengesetz-Sie-haben-den-Affen-uebersehen-4. Die Autoren kritisieren, dass das „neue Gesetz eine datenbasierte Gesundheitsprofilbildung auch gegen den Willen des Versicherten“ legalisiert.

Der Knackpunkt der Spahn’schen Datenschutzverordnung ist, den Kreis derer, die von den Gesundheitsdaten der mehr 73 Millionen Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung profitieren, auf privatwirtschaftliche Unternehmen auszuweiten.

Ursprünglich war angedacht, die Daten „nur“ öffentlichen, den Institutionen der Sozialversicherungsträgern angehörende oder nicht gewinnorientierten Institutionen zu öffnen. Und wenn schon der Datenschutz zerschossen wird, dann bitte richtig. Aus Spahn Ankündigung, dass die Versichertendaten vollumfänglich anonymisiert behandelt werden sollten, ist ebenfalls wenig übriggeblieben. Das Nachrichtenportal Heise online berichtet, dass in der neuen Datenschutzverordnung jetzt auch von pseudonymisierten Daten für die Forschung die Rede ist: https://www.heise.de/tp/features/Schon-wieder-Spahn-erhoeht-Datenschutz-Risiko-4867069.html

Das bedeutet, dass Millionen sensibler Gesundheitsdaten leichter als bei einer Anonymisierung auf die reale Person zurückgeführt werden können – auch für privatwirtschaftlich agierende Unternehmen. Wenn damit bessere Medikamente entwickelt werden, wer könnte etwas dagegen haben? Aber wie sieht es mit gezielten Absatzstrategien und einem personalisierten Marketing aus? Aus gutem Grund dürfen bei uns in Deutschland nur ausgebildete Ärzte Medikamente verschreiben.

Fakt ist: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn setzt sich über tausendfach geäußerte Bedenken, und ja auch Ängste, in Bezug auf ein digitalisiertes Gesundheitswesen hinweg. Spahn ist einzig Sachwalter der Industrie und der Wirtschaft. Das könnte riskant werden, spätestens wenn ein Datenleck größeren Ausmaßes das Vertrauen in unser Gesundheitswesen erschüttert.

Spahn operiert in politischen Diskussionen oft mit dem Terminus Vertrauen, dass die Wähler in den Staat verloren haben. Meiner Meinung nach soll er sich erst einmal darum kümmern, dass Vertrauen in ein digitalisiertes Gesundheitswesen gerechtfertigt ist.
Und einer geht noch: Zum Jahresende muss laut Spahn die Telematik-Infrastruktur in den Kliniken stehen, sonst drohen Budgetkürzungen. Und das in Zeiten einer Corona-Pandemie und den damit verbundenen Belastungen der Kliniken sowie dem Stillstand der Wirtschaft. Welche Kliniken schaffen das? Was aber gehen soll sind 2,5 Prozent Budgetkürzung für die, die es nicht schaffen. Soviel zur Wertschätzung der Kliniken und Corona–Helden!
Was meinen Sie? Vertrauen Sie darauf, dass Ihre sensiblen Gesundheitsdaten im Netz geschützt sind? Oder sind Sie eher misstrauisch? Fühlen Sie sich über Vor- und Nachteile eines digitalisierten Gesundheitswesens richtig aufgeklärt und informiert? Schreiben Sie mir! Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.