Corona / Digitalisierung / Sars-Covid-19

Ein Virus treibt die Digitalisierung

In jeder Krise gibt es Gewinner und Verlierer. Dass die Verluste durch das SARS-Cov-2 weitaus höher ausfallen werden als beispielsweise durch die Finanzkrise 2008 scheint derzeit außer Frage zu stehen. Doch es zeigt sich derzeit auch eine Entwicklung, die sich für uns als Gesellschaft und für das Gesundheitswesen als außerordentlich wichtig und wertvoll erweisen könnte. Ich spreche von der Digitalisierung. Vor der Corona-Epidemie dümpelte das deutsche Gesundheitswesen in analogen Strukturen und Verfahren vor sich hin. Ich habe mehrfach in diesem Blog darüber geschrieben.

Jetzt treibt ein kaum sichtbares Virus diese Entwicklung mit aller Macht voran. Die ganze Welt skypt, zoomt, whatsappt und verbindet sich in Videokonferenzen, Chats und Meetings. Plötzlich ist es vollkommen normal geworden vom heimischen Rechner oder dem Smartphone aus mit anderen Menschen zu kommunizieren und zu arbeiten. Waren Videosprechstunden vor Corona noch etwas für einige wenige technikaffine Mediziner sind doch einige mehr von ihnen auf Videosprechstunden umgeschwenkt. Denn gerade die Arztpraxen litten beim Ausbruch der Corona-Epidemie unter einem deutlichen Einbruch der Patientenzahlen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat die Chance ergriffen und das Kontingent für Videosprechstunden aufgehoben.

Nächstes Beispiel: Die Corona-Tracing-App. Wann auch immer sie für die Deutschen auf den Markt kommt und was sie bringt, ist derzeit reine Spekulation. Fakt ist, mindestens 60 Prozent der Deutschen müssten diese App nutzen, damit der gewünschte Effekt einer besseren Nachverfolgung erreicht wird. Bei uns in Deutschland bestehen hohe Anforderungen an den Datenschutz. Das Für und Wider ist ein Richtungsstreit. Allerdings, dass in Deutschland inzwischen diskutiert wird, wie so eine App aussehen sollte und ob die Daten zentral oder dezentral gespeichert werden, ist so viel mehr, als das was wir vor der Krise hatten.

Welchen Grad der Digitalisierung die Menschen wollen und was sie von sich Preis geben wollen, sollten wir ihnen tunlichst selbst überlassen. Der allmächtige Überwachungs-, und Versorgungsstaat war bisher nicht das Model der Bundesrepublik und sollte es aus meiner Sicht auch nicht werden. Nicht alles was technisch geht darf den Menschen aufgezwungen werden, wie das Leben insgesamt hat alles Chancen und Risiken oder Wirkungen und Nebenwirkungen.

Bei dem Auftrieb, den die Digitalisierung jetzt erfährt, sollten wir definitiv den Zweck von Digitalisierung im Auge behalten. Jetzt im Sommer dürfen erstmals Gesundheits-Apps auf Kosten der Krankenkassen verschrieben werden. Es wird sehr genau zu beobachten sein, was diese leisten und was sie nicht leisten. Digitalisierte Gesundheits- und Medizinprodukte müssen genauso einen Mehrwert, einen Zusatznutzen stiften wie dies seit Jahren der Arzneimittelbranche abverlangt wird.

Es wird sehr genau darauf zu achten sein, dass sich analoge und digitale Leistungen in unserem Gesundheitssystem nicht kannibalisieren. Ein Teil der Arzt-Patienten-Gespräche macht beispielsweise persönlich vor Ort mehr Sinn als am Bildschirm. Auch muss sichergestellt sein, dass der gelenkte Patiententourismus oder steuernde Kooperationen ausbleiben. Corona hat gezeigt, was viele Praktiker täglich erleben, aber von den theoretisierenden Köpfen der Wissenschaftler oder Studienmacher ignoriert wird:

„Eine verlässliche Gesundheitsversorgung braucht funktionierende und verzahnte dezentrale Strukturen“.

Es gilt abzuwägen und die Funktionen und Aufgaben der Versorgung konstruktiv miteinander zu verbinden. Wir brauchen eine funktionierende Versorgungssteuerung, die digitale und analoge Leistungen miteinander verzahnt. Denn mit der Digitalisierung werden auch immer mehr Leistungen und Angebote unser Gesundheitssystem aufblähen und es werden sich Strukturen und Versorgungswege ändern. Noch hat die Politik keinen Plan, keine Strategie und keine Vision, wie ein patientenorientiertes Gesundheitssystem, in dem digitale und analoge Angebote miteinander für eine optimale Gesundheitsversorgung sorgen können.

„Unser Gesundheitspolitiker müssen sich endlich von der Lobbyarbeit lösen und die Prozesse der Patientenversorgung in den Mittelpunkt stellen. Die verschiedenen Säulen müssen zu einer Säule zusammengeführt werden.“

Es ist an der Zeit, Gesundheit neu zu denken.
Was ist Ihre Meinung? Sehen Sie eine Chance in der Covid-19-Krise hin zu mehr Digitalisierung? Und wenn ja, wie könnte eine geeignete Versorgungssteuerung aussehen? Ich bin gespannt auf Ihre Meinung. Schreiben Sie mir!

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.