Corona / Sars-Covid-19

Mit Vollgas durch die Wand?

Liebe Laut-Blogleserinnen und Leser,

das Jahr geht zu Ende und Deutschland befindet sich im zweiten Covid-19-Lockdown. Nahezu jeder Mensch in Deutschland ist von den erneuten Einschränkungen privat wie beruflich betroffen. Der Einzelhandel ist in den umsatzstärksten Wochen im Jahr lahmgelegt, Kinder und Jugendliche müssen wieder online lernen und an Weihnachten und Silvester gelten drastische Kontaktbeschränkungen für Zusammenkünfte mit Familie und Freunden. Das ist nur ein Teil der Bilanz, die seit Beginn der Pandemie zu ziehen ist.
Der andere Teil der Bilanz sind die Infektionszahlen der an Covid-19-Erkrankten. Sie steigen und steigen und die Zahl der Menschen, die diese Erkrankung nicht überleben ebenfalls.

Wir haben unsere gute Ausgangslage vom Frühjahr beim Ausbruch der Pandemie inzwischen verspielt: vom mustergültigem pandemischen Krisenmanager zur schwer getroffenen taumelnden Covid-19-Nation. Wie konnte es so weit kommen?

 

  • Die zweite Welle wurde verschlafen. Wird schon alles nicht so schlimm werden… Und dass, obwohl viele Epidemiologen und Virologen vor einer zweiten Welle mit einer größeren Wucht gewarnt haben. Seit Ende November wurde mit dem Lockdown light wertvolle Zeit verloren, heute sind die Kliniken erneut in einer außerordentlichen Belastungssituation. Schlimmer noch, die Mitarbeiter halten diese dauernden Belastungen immer weniger aus und das gefährdet uns alle, denn Strukturen die nicht mehr Leben, können auch kein Leben retten.
  • Föderales Regelungschaos. Seit der ersten Welle war klar, welche Menschen besonders gefährdet sind. Welche nachhaltigen Schutzmaßnahmen wurden ergriffen, um die verletzbaren Gruppen zu schützen? Schutzmaßnahmen in Alten und Pflegeheimen? Wie war das mit den vielen alten Menschen zuhause? Einige kostenlose FFP2 Masken als politisches Weihnachtsgeschenk sollen es jetzt richten? Eine Spontanaktion, aber von planvollem Handeln ist das weit entfernt.
  • Zweifelhafte Testszenarien: Bis heute gibt es keine sinnvolle Teststrategie. Eine Vielzahl von Tests bei Gesunden wiegen die Menschen in Sicherheit. Negatives Ergebnis heißt: Ich bin gesund – ein fataler Irrglaube, denn der Wahrheitsgehalt der Aussage liegt eher bei 20% als bei 50%. Nach einer Infektion kann es nämlich einige Tage dauern, bis der Test positiv wird.
    Aktuell wird das Virus in viele Einrichtungen eingetragen und häufig tragen es Mitarbeiter und Besucher ein, nur selten infizieren sich Mitarbeiter, die mit Corona Patienten arbeiten. Das zeigt, es geht um die Disziplin und den notwendigen Selbstschutz. „Seid egoistisch und schütz Euch selbst“ – ein Motto was in diesem Fall allen helfen würde.
  • Corona-Warn-App: Ihr Nutzen wird inzwischen auch von Fachleuten bezweifelt: Wer positiv getestet wurde, teilt dies den anderen App-Nutzern nicht unbedingt mit und auch die Warnungen bewegen sich eher auf der symbolischen Ebene als auf einer mit informationellem Mehrwert für die App-Benutzer. Die Corona-Warn-App – ein Lieblingsvorhaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – ist mit voraussichtlich 69 Millionen Euro bis Ende 2021 zudem sehr teures Übungsprojekt.
  • Impfstrategie: Endlich geht’s los – das gestufte Vorgehen ist richtig. Allerdings werden auch hier die falschen Register gezogen. Horrende Honorare für Ärzte, die jeden Arzt aus seinem belastenden Klinikjob locken. Damit wird die Versorgung der übrigen Patienten weiter geschwächt und Steuermillionen unnötig versenkt.

Und wer nicht geimpft werden will? Es reicht, wenn der ggf. ertragen muss, dass sein Leben auf einer Intensivstation endet – nicht mehr und nicht weniger.

Fazit: Corona führt uns auch die Schwächen unserer politischen Strukturen vor Augen – das mediendemokratische föderale Leben mit und in der Angst. Der immerwährende Austausch auf der medialen Bühne mit meinungsbeladenen Moderatoren und wirkungsbedachten Landes- und Bundespolitikern macht es Vielen fast unmöglich Informationen sachgerecht aufzuarbeiten, zu verstehen, zu bewerten und zu entscheiden. Am Ende überlagert eine emotionale Meinungsführerschaft die faktenorientierte Entscheidungsnotwendigkeit.

Welche Maßnahmen richtig, ausreichend und zielführend sind oder waren? Wir werden es vielleicht erst im Nachgang wirklich beurteilen können, die zweite Vollbremsung ist aber notwendig!

Die Kliniken sind hoch belastet, daher passen die euphorischen Danksagungen der erste Welle und die aktuelle Ignoranz der Arbeitsbelastung und Finanzbelastungen der Kliniken überhaupt nicht zusammen.

Woher rührt diese aktuelle Blindheit? Kein Politiker mag wohl zugeben, dass die hochgelobten Klinikstrukturen, an die man im September schon wieder die alten Effizienzerwartungen und Beschränkungen angelegt hatte, heute vor der Überlastung stehen.

Vor wenigen Wochen nahmen die Krankenkassen die Kliniken erneut unter Beschuss. Der Gesetzgeber hat Freihaltepauschalen und Corona-Belastungen an Notfallstufen gekoppelt, die nur sehr begrenzt vergeben werden. Hätten die Kliniken gehandelt wie es Politik und Selbstverwaltung vorgeben, wäre ein Patiententourismus zu zentralen Großkliniken entstanden und ein Vielfaches an Toten wäre zu beklagen.
Es ist daher völlig unverständlich, warum Herr Spahn, warum der Bundestag oder die Länderparlamente aktuell auf Durchzug schalten. Die politische Grundhaltung zu den deutschen Gesundheitsstrukturen scheint sich durch die Pandemie noch nicht geändert zu haben.

Im Superwahljahr müssen wir, die im Gesundheitswesen wirken und ein funktionsfähiges System brauchen, den Politikern zeigen, was „Meine Medizin ist“ und was es bedeutet Verantwortung für kranke Menschen zu übernehmen an 365 Tagen über 24 Sunden – und ohne faule Kompromisse. Es ist Zeit laut und kompromisslos zu sein.
Schreiben Sie mir! Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.
Ich wünsche Ihnen erholsame Weihnachtsfeiertage einen guten und gesunden Start ins neue Jahr!

Ihr,
H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.