Notfallversorgung / Reform / Rettungsdiesnst

Verfahren: Rettungsdienst auf dem Irrweg

Wer einmal persönlich auf den Rettungswagen angewiesen war, fragt nicht lange, wo dieser her kam, wie lange dieser unterwegs war und welches Krankenhaus der sogenannte RTW, steht für Rettungswagen, ansteuert. Hauptsache rasche Hilfe!
Was nur Wenige wissen, unser System der Notfallversorgung ist ein chaotisches System, ein Flickenteppich und ein Wirr-Warr aus unterschiedlichsten Zuständigkeiten und Anforderungen. Jedes Bundesland regelt seine Notfallversorgung anders.

Und abhängig davon, wo ein Patient wohnt, muss der Rettungswagen nach acht Minuten am Einsatzort sein, in einem anderem Bundesland nach 12 Minuten, dem Herzinfarkt ist das egal, aber die Infrastruktur ist eben unterschiedlich. In manchen Regionen brechen durch den Personalmangel zudem die Strukturen weg, das sind dann wohl die bitteren Folgen der gesundheitspolitischen Rationierungspolitik.

Seit Anfang dieses Jahres liegt nun ein Referentenentwurf zur Reform der Notfallversorgung vor. Gesundheitsminister Spahn hat auch dieses heiße Eisen angefasst: Denn eine Reform, die die Notfallversorgung in Deutschland vom Kopf wieder auf die Beine stellt, wurde seit langem gefordert.

Am deutlichsten manifestieren sich die Schwächen des Notfallrettungssystems an den vollkommen überlaufenen Rettungsstellen der Krankenhäuser und der Überlastung des Personals, dass dort arbeitet. Ambulante Notfallversorgung ist nicht die Aufgabe der Kliniken, sie machen es dennoch, weil das KV-System überfordert ist. Deswegen ist auch Kernstück der Reform eine sinnvolle Kanalisation der Patienten, in die Gruppe, die einer stationären Weiterbehandlung bedürfen und einer Gruppe, denen mit einer ambulanten Versorgung geholfen werden kann – den sogenannten Integrierten Notfallzentren (INZ). Die INZ sollen an festgelegten Krankenhausstandorten von Krankenhäusern und Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) unter der fachlichen Leitung der Kassenärzte betrieben werden. Eigentlich sollten sie die Patienten schon heute versorgen, schaffen das aber nicht.

Eine gemeinsame Anlaufstelle für alle Patienten, die den Notdienst nutzen wollen oder müssen ist absolut sinnvoll und auch geboten. Allerdings bleibt zu befürchten, dass die Kliniken nicht entlastet werden, sondern noch stärker in die Bresche springen müssen, wenn mal wieder kein KV-Arzt verfügbar ist.

Zu Recht aber protestiert die Deutsche Krankenhausgesellschaft, wenn sie im eigenen Krankenhaus nur noch Gaststatus in der Rettungsstelle hat.

An dieser Stelle hat Bundesgesundheitsminister Spahn das Kinde mit dem Bade ausgeschüttet. Heute halten die Kliniken in vielen Regionen die ambulante Notfallversorgung hoch, die KV kann dort nicht liefern. Und ja, versorgungspolitisch muss die Frage erlaubt sein, ob wirklich jedes der 1.850 Plankrankenhäuser in Deutschland eine eigene Rettungsstelle vorhalten muss, vor allem in Regionen mit vielen Kliniken. Allerdings: Die Krankenhäuser, die elf Millionen Notfallpatienten im Jahr versorgen, nur noch zum Erfüllungsgehilfen der Kassenärzte zu machen, ist in unserem säulenartig aufgebauten Gesundheitssystem keine gute Idee. Schaut man sich die Realitäten des KV-Notfalldienstes an, fehlen dort die Strukturanforderungen. So werden die Dienste von Augenärzten ebenso versehen wie von Gynäkologen, Allgemeinmedizinern oder sogar Ärzten, die sich erst in der Facharztweiterbildung befinden. Schon heute ist es so, dass der KV Dienstarzt am Ende nur den Überweisungsschein in die Notaufnahme des Krankenhauses ausfüllt, sollen sich doch die Klinikärzte darum kümmern. Von Experten und Praktikern wird zu Recht bezweifelt, ob die KVen sieben Tage die Woche 24 Stunden lang Fachärzte im Bereitschaftsdienst zur Verfügung stellen kann, um die notwendige Allgemeinmedizinische Fachkompetenz abzudecken, von Fachgebieten wie Innere Medizin oder Chirurgie mal ganz abgesehen.

Ein weiterer Riesenstreitpunkt: Die Länder als planungsrelevante Akteure sind raus. Nach dem Referentenentwurf erhalten diese kein Mitspracherecht mehr bei der Planung der INZ, stattdessen sollen die Krankenkassen und KVen die künftige Notfallrettungslandkarte entwerfen. Dass kleinere Krankenhausstandorte den Kürzeren in dieser INZ-Planung ziehen werden, dürfte als gesetzt gelten. Der Einzelfall wird zeigen, ob das immer eine gute Lösung ist und ob die Versorgung damit gesichert werden kann. Die Kassen haben in erster Linie den eigenen Geldbeutel im Blick und sind bereit die Bürger auf weite Reisen zu schicken. Die regionale Politik könnte als Anwalt der Bürger mit im Boot sein, aber das will Jens Spahn nicht.

Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll gewesen über den bundesdeutschen Tellerrand in andere Regionen zu schauen, in denen die Verantwortung für die Versorgung grundsätzlich stärker regionalisiert wird, in denen grundsätzlich ambulant, stationär und die weitere Versorgungskette gemeinsam gedacht und organisiert wird.

Und: Spahn plant auch mit diesem Gesetz mal wieder einen Systemwechsel. Der reformierte Rettungsdienst soll künftig im System der gesetzlichen Krankenversicherung verankert werden. Auf den ersten Blick sieht das stringent aus, auch weil der Rettungsdienst als neuer Leistungsbereich in die gesetzliche Krankenversicherung integriert werden soll.

Doch müssen wir künftig einen Rettungsdienst nach Kassenlage befürchten? Wenn die Beiträge der gesetzlichen Krankenkassen wieder sinken – erstmalig erwirtschafteten diese im vergangenen Jahr wieder ein Minus von 1,6 Milliarden Euro – könnte auch die eine oder andere Sparmaßnahme in dem neuen Leistungsbereich Rettungsdienst zu Buche schlagen und die Rettung ein paar Minuten später oder sogar zu spät kommen.

Was meinen Sie? Sollten die Länder bei der Organisation des Rettungsdienstes Außen vor gelassen werden? Und macht es die Gesetzliche Krankenversicherung besser? Schreiben Sie mir, welche Erfahrungen haben Sie mit der Notfallversorgung gemacht? Ich bin gespannt auf Ihre Reaktionen.

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.