Krankenversicherungsbeiträge / Patientenorientierung / Zuzahlungen

Anstieg der Zuzahlungen in der GKV: Am Ende sind die Patienten wieder die Dummen.

Seit Anfang dieses Jahres dürfen sich Arbeitnehmer und Rentner über eine Entlastung bei ihren Krankenversicherungsbeiträgen freuen. Die Berliner Koalition hat dafür gesorgt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder hälftig zu gleichen Teilen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen, nachdem dieses Verfahren 2010 zugunsten der Arbeitgeber abgeschafft wurde.

Für sich genommen ist das erst einmal eine gute Nachricht für Millionen von Arbeitnehmern, wenn da nicht die Zuzahlungen wären. Überall wird ein Extra-Obolus fällig. Beim Kauf von Medikamenten, beim Kauf von Hilfsmitteln wie Rollatoren und Hörgeräte, nach einer stationären Behandlung im Krankenhaus, in der Reha oder bei der Behandlung durch Logopäden oder Physiotherapeuten. Quer über alle Sektorengrenzen in unserem Gesundheitssystem hinweg fallen Zuzahlungen an.

Warum eigentlich? Warum werden Kranke und Hilfebedürftige in unserem sogenannten solidarischen Gesundheitssystem zur Kasse gebeten, wenn sie krank sind? Welche Steuerungsfunktion steckt dahinter? Aus gesundheitsökonomischer Perspektive sind Zuzahlungen eine Form der direkten Selbstbeteiligung und sollen zu einer wirtschaftlicheren Inanspruchnahme von Leistungen und damit zu einer stärkeren Eigenverantwortung der Versicherten führen. Kurz: Eine Flatrate für Medikamente, Hilfsmittel und Heilbehandlungen führt zu Hamsterkäufen und -behandlungen. Jeder nimmt mit, was er kriegen kann. Die Linkspartei, die im Bundestag eine Anfrage zum Thema Zuzahlungen gestellt hat, spricht dagegen von einer Bestrafung derjenigen, die krank sind und den ärztlichen Anweisungen Folge leisten.

Fakt ist, Zuzahlungen verschleiern die Höhe des allgemeinen Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung, der höher ausfallen dürfte, wenn der Finanzblock Zuzahlungen Bestandteil der gesetzlichen Krankenversicherung wäre. Immerhin 4,21 Milliarden Euro der Extra-Abgabe werden allein jährlich von den Patienten aufgebracht.

Und die Höhe der Zuzahlungen steigt stetig an – vor allen bedingt wegen der alternden Gesellschaft. Senioren brauchen mehr Medikamente, Verbandsmaterial oder Hörgeräte. Allein in den vergangenen zwei Jahren sind die Zuzahlungen um fast neun Prozent gestiegen.

Wenn die Koalitionäre also die Beitragsentlastung für Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung feiern, ist das nichts anderes als das Prinzip rechte Tasche, linke Tasche – bei den Patienten zumindest kommt die Beitragsentlastung nicht oder nur kaum an. Sie zahlen zunehmend mehr ins System ein.

Inwiefern Zuzahlungen gerecht sind, gehört damit ganz oben auf die sozialpolitische Agenda. Insbesondere vor dem Hintergrund einer drohenden Altersarmut bei Rentnern, Geringverdienern oder auch kinderreichen Familien. Muss es nicht darum gehen, wie die Mittel zielführend eingesetzt werden? Hier setzt unser System die falschen Anreize in dem alle Beteiligten von einer hohen Inanspruchnahme durch den Patienten profitieren. Und das ist nicht immer nachhaltig oder zum Nutzen für den Patienten.

In den genannten Bevölkerungsgruppen schmerzen persönlich geleistete Zuzahlungen im wahrsten Sinne des Wortes. Die Befreiung von dieser finanziellen Bürde ist zwar über Härtefallregelungen grundsätzlich möglich, aber auch bürokratisch und mitunter entwürdigend. Zudem ist umstritten, ob Zuzahlungen, die gewünschte Steuerungsfunktion, nämlich nicht verschwenderisch mit den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung umzugehen, tatsächlich erreichen. Aus der Gesundheitspolitik gibt es bislang keine Anzeichen am System der Zuzahlungen etwas zu ändern. Auch weil sich die Menschen an ihre Eigenbeteiligung gewöhnt haben.

Sind Sie wie ich der Meinung, dass wir unser Gesundheitssystem wieder auf die Füße einer „patientenorientierten Medizin“ stellen müssen? Dann bitte auch solidarisch für alle, vor allem für diejenigen, die Behandlungen wirklich brauchen.

Was ist Ihre Meinung? Ist es eine gute Sache, wenn sich Patienten mit einer finanziellen Eigenbeteiligung an medizinischen Produkten und Dienstleistungen beteiligen? Oder sollte der Zugang zu Medikamenten, Medizinprodukten und Therapien grundsätzlich kostenlos sein und vollständig von der Versichertengemeinschaft getragen werden? Schreiben Sie mir! Ich bin gespannt auf Ihre Meinung!

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.